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Wie man den globalen Wettstreit um Fachkräfte gewinnt
Unternehmen, die auf neue Ansätze und Technologien setzen, sind diejenigen, die im globalen Wettbewerb um Talente und Fachkräfte vorne liegen werden.
Deutschland mag die größte Volkswirtschaft Europas sein, hat aber mit seinen Nachbarn eine wichtige Gemeinsamkeit: den Arbeitskräftemangel. Die Schwierigkeiten, die Unternehmen in einer Reihe von Märkten bei der Besetzung offener Stellen haben, sind vielerorts zu einem Medienthema geworden, von Brüssel bis Berlin und von London bis Lissabon.
Die größte Aufmerksamkeit erreichte in diesem Zusammenhang der Mangel an LKW-Fahrern und die dadurch verursachten Störungen der Lieferketten. Allerdings ist dieses Problem keineswegs neu. Schon die Studie European Road Freight Transport 2018 zeigte, dass in sechs Ländern (Vereinigtes Königreich, Deutschland, Frankreich, Dänemark, Schweden und Norwegen) zusammengenommen 127.500 Fahrer fehlten. Das Vereinigte Königreich lag dabei mit 52.000 fehlenden Fahrern an der Spitze, dicht gefolgt von Deutschland mit 45.000 unbesetzten Stellen.
Die Auswirkungen von COVID-19 und die Schwierigkeiten bei der Anwerbung von Fahrern aus dem Ausland haben die Situation noch verschärft. Zudem gehen nach Angaben des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) jedes Jahr rund 30.000 deutsche Berufskraftfahrer in Rente, während sich die Zahl der Neueinsteiger nur auf rund 17.000 beläuft. Das Transportgewerbe ist nur ein Beispiel von vielen, doch es hilft, die Gründe für den Arbeitskräftemangel zu verdeutlichen, der sich auf eine ganze Reihe von Sektoren in Deutschland auswirkt. Und auch die Technologiebranche kann hier wichtige Lehren ziehen.
Die IT-Branche hat schon lange Probleme, Mitarbeiter zu gewinnen. In Deutschland sollen im Jahr 2030 drei Millionen Fachkräfte fehlen, wobei der Bereich Technik/Ingenieurwesen (einschließlich Softwareprogrammierung/-entwicklung und Informatik) voraussichtlich am zweitstärksten betroffen sein wird.
Die Gründe für den Fachkräftemangel, ob in Deutschland oder weltweit, sind zahlreich und komplex. Die Lösung, zu der auch eine globale Perspektive gehört, kann jedoch wesentlich einfacher sein.
Sehen wir uns zunächst die Ursachen des Problems an und fragen dann, warum die herkömmlichen Lösungsansätze nicht funktionieren. Anschließend werden wir untersuchen, wie Technologie zur Bewältigung des Problems beitragen und Arbeitgebern und Personalverantwortlichen helfen kann, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Zuwanderung, Automatisierung, Lockdown und Alterung
Die Zuwanderung aus anderen EU-Ländern verlangsamt sich. Laut der ehemaligen Integrationsbeauftragten Annette Widmann-Mauz hat in Deutschland die Zahl der zusätzlichen Fachkräfte und Arbeitskräfte aus der EU 2020 um rund 25 Prozent abgenommen.
In dem Versuch, dem Arbeitskräftemangel entgegenzusteuern, wurde das Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet, das nicht mehr nur Personen mit einem akademischen Abschluss Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet, sondern auch solchen, die über eine qualifizierte Berufsausbildung verfügen. Das Gesetz trat im März 2020 in Kraft – zum Zeitpunkt des ersten Lockdowns, vor dessen Verhängung viele Arbeitnehmer in ihre Heimatländer zurückkehrten. Dies und die Reisebeschränkungen in diesem Zeitraum bewirkten, dass letztes Jahr die Bevölkerung in Deutschland schrumpfte – erstmals seit 2011.
Der Lockdown führte auch dazu, dass viele Betriebe des Gastgewerbes vorübergehend oder dauerhaft die Pforten schlossen. Wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) feststellte, sank die Zahl der Beschäftigten in deutschen Restaurants und Hotels vom Beginn der Pandemie bis September 2020 um rund 15 Prozent.
In manchen Sektoren sind also Arbeitsplätze dauerhaft weggefallen. In anderen Bereichen werden – oder wurden – freie Stellen nicht durch neue Arbeitnehmer ersetzt, sondern durch Roboter und Automatisierungsmaßnahmen. Einer Untersuchung der EU-Kommission zufolge könnten bis 2030 zwischen 45 und 60 Prozent aller Arbeitsplätze in Europa durch Automatisierung verlorengehen.
Den Befürchtungen, dass uns Roboter die Arbeitsplätze wegnehmen, steht bei näherer Betrachtung allerdings entgegen, dass die Automatisierung möglicherweise eine bestehende Lücke auf dem Arbeitsmarkt schließt. So kamen beispielsweise die Autoren einer MIT-Studie zum Thema Demografie und Automatisierung zu dem Schluss, dass „ein erheblicher Teil der Investitionen in die Robotik nicht getätigt wird, weil sie das nächste ‚große Ding‘ ist, sondern weil in einigen Ländern ein Mangel an Arbeitskräften herrscht und insbesondere an Arbeitnehmern mittleren Alters, die physische Arbeiten ausführen.“ Zu diesen Ländern zählt auch Deutschland, wo „Roboter in die Arbeitswelt Einzug gehalten haben, um das Fehlen von Arbeitskräften zu kompensieren.“
Geringe Zuwanderung, eine stagnierende (und alternde) Bevölkerung und die anhaltenden Auswirkungen von COVID-19: All das trägt zur Arbeitskräfteknappheit bei. Aber was wird getan, um sie zu beheben?
Neue Probleme, alte Antworten
Viele Personalverantwortliche und HR-Teams machen einen Fehler: Sie versuchen, mit herkömmlichen Taktiken Arbeitskräfte anzuziehen und zu halten, obwohl Deutschland – und die Welt – heute ganz anders aussieht als vor wenigen Jahren. Unser Ausbildungssystem mit seinen dreijährigen Ausbildungszeiten sorgt dafür, dass jedes Jahr rund 500.000 qualifizierte Personen in den Arbeitsmarkt eintreten.
Laut einer Umfrage der Bertelsmann Studie fokussieren sich 55 Prozent der Arbeitgeber auf die Ausbildung neuer Mitarbeiter. Das ist hervorragend, und Deutschland kann auf sein Ausbildungsmodell stolz sein. Lange Ausbildungen werden jedoch das unmittelbare Problem des Mitarbeiter- und Fachkräftemangels nicht lösen.
Andere Unternehmen wiederum erhöhen die Gehälter, um Mitarbeiter zu gewinnen. Im zweiten Quartal 2021 sind die Durchschnittsgehälter in Deutschland im Vergleich zu 2020 um 5,5 Prozent gestiegen. Auch das ist hervorragend für die Arbeitnehmer, doch für manche Firmen sind solche Erhöhungen keine Option, und für viele, die expandieren wollen, sind sie schlicht nicht finanzierbar.
Internationale Expansion ist eine Chance, die für Unternehmen im Zuge der Pandemie leichter greifbar geworden ist. Zahlreiche Firmen haben Telearbeit eingeführt, und viele Arbeitnehmer haben sich an den Lebensstil digitaler Nomaden gewöhnt und/oder sind mittlerweile freiberuflich tätig. Das eröffnet Arbeitgebern nie dagewesene Möglichkeiten, die besten Arbeitskräfte aus einem denkbar großen, globalen Arbeitnehmerpool anzuwerben. Die Personalbeschaffung muss nicht mehr durch geografische Grenzen beschränkt sein – es bedarf nur einer neuen Herangehensweise an die Einstellung und Mitarbeiterbindung.
Technologie und EOR erschließen neue Möglichkeiten
Unternehmen müssen heute eine globale Perspektive einnehmen und auf einheimische wie auch ausländische Bewerber zurückgreifen, um ihre Belegschaft zu verstärken und die Herausforderungen bei der Personalbeschaffung zu bewältigen. Das bedeutet nicht, dass Sie an jedem Ort, an dem Sie Mitarbeiter anwerben möchten, eine lokale Personalstelle brauchen. Sie brauchen auch kein hauseigenes Juristenteam, das sich mit dem jeweiligen regionalen Arbeitsrecht und allen Formalitäten auskennt. Sie müssen nicht einmal mit zahlreichen Personalvermittlern in verschiedenen Ländern zusammenarbeiten. Sie brauchen lediglich eine robuste HR-Technologie und eine Employer-of-Record-Agentur (EOR).
Den Umsatz steigern, in Technologie investieren und Mitarbeiter aus aller Welt gewinnen – für Unternehmen ist das ein schwieriger Balanceakt. Die richtige digitale Infrastruktur ist eine unerlässliche Voraussetzung, um global konkurrenzfähige Leistungspakete schnüren und verwalten zu können, einschließlich Krankenversicherung, ärztlicher Versorgung, Mitarbeiterberatung, Unterstützung beim Standortwechsel und Altersvorsorge.
Solche Leistungen können darüber entscheiden, ob ein Unternehmen die benötigten Mitarbeiter gewinnt oder wichtige Stellen unbesetzt lassen muss. Dieselbe digitale Technologie kann auch den Einstellungsprozess und das Onboarding vereinfachen und zugleich sicherstellen, dass sämtliche Vorschriften eingehalten werden. All das macht es leichter, aus einem weltweiten Talentpool zu schöpfen.
Bei der Einhaltung der HR- und Lohnvorschriften in unterschiedlichen Ländern können sich Unternehmen keine Fehler erlauben. Das Letzte, was ein Unternehmen braucht, sind Bußgelder oder unzufriedene Mitarbeiter, die den Ruf der Marke und die Marktposition beeinträchtigen und es noch schwieriger machen können, qualifizierte Mitarbeiter einzustellen und zu halten. EOR-Dienste können die Einstellung ausländischer Mitarbeiter beschleunigen und sind kostengünstiger als die Gründung verschiedener lokaler Tochtergesellschaften, in denen die verschiedensten Sprachen gesprochen werden.
Mit EOR-Diensten können sich Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber darauf verlassen, dass alle Vorschriften jedes Landes eingehalten werden, in dem ein Mitarbeiter eingestellt werden soll. Darüber hinaus verringert sich das Risiko für das Unternehmen, da die EOR-Agentur alle Risiken im Hinblick auf lokales oder internationales Steuer- und Arbeitsrecht übernimmt. So können sich die Führungskräfte und Personalverantwortlichen auf die Unternehmensstrategie und die Tagesziele konzentrieren.
Die Automatisierung von Funktionen trägt entscheidend dazu bei, die Personalarbeit zu vereinfachen. Prozesse wie die Verwaltung von Gehältern und Sozialleistungen waren früher zeitaufwendig und fehleranfällig.
Länderübergreifende Gehaltsabrechnung war ein schwerfälliger und schwieriger Prozess und für kleinere Unternehmen schlicht keine Option. Wenn Unternehmen Technologien einführen, die manuelle Prozesse überflüssig machen, können sie leichter Mitarbeiter aus aller Welt anwerben, einstellen und bezahlen. Auf diese Weise können sie die Hürden für eine globale Expansion überwinden und mit Unterstützung eines globalen Mitarbeiterpools ihr Umsatzwachstum erfolgreich vorantreiben.
„Arbeitgeber, die auf neue Ansätze und Technologien setzen, statt auf veraltete Modelle zurückzugreifen, sind diejenigen, die in der globalen Talentjagd die Nase vorn haben werden.“
Vincent Hennequin, Elements Global Services
HR-Technologielösungen sind beispielsweise in der Lage, die Personaladministration und Gehaltsabrechnung auf internationaler Ebene zu übernehmen und lokale Steuern und Compliance, Sozialleistungen sowie Visa- und Mobilitätsanforderungen zu verwalten. Das erlaubt es den Unternehmen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: ihr Wachstum und ihre Umsätze. Zudem können Gehaltsabrechnungslösungen die Spesenabrechnungen automatisieren, sodass die Mitarbeiter leichter Kostenaufstellungen erzeugen und einreichen und die Vorgesetzten diese einfacher prüfen und genehmigen können.
Statt wie befürchtet Arbeitsplätze wegzunehmen und Arbeitskräfte zu ersetzen, emanzipiert Technologie die Arbeitnehmer und eröffnet den Unternehmen neue Möglichkeiten. Arbeitgeber, die auf neue Ansätze und Technologien setzen, statt auf veraltete Modelle zurückzugreifen, sind diejenigen, die in der globalen Talentjagd die Nase vorn haben werden.
Über den Autor:
Vincent Hennequin ist Director of Business Development bei Elements Global Services.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.