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Wie die Bestandsoptimierung das Serviceniveau verbessert
Bei der Supply-Chain-Planung stößt man häufig auf Widersprüche. So gehen viele irrtümlich davon aus, dass man das Bestandsniveau erhöhen muss, um das Serviceniveau zu steigern.
Eine der schwierigsten Aufgaben in der Supply-Chain-Planung ist es, komplexe, widersprüchliche Konzepte zu verstehen. Ein Beispiel ist die Bestandsoptimierung. Erklärt man Planern, dass sie das Serviceniveau um 3 bis 5 Prozent steigern, und dabei das Bestandsniveau um 15 bis 30 Prozent sinken kann, stößt man häufig auf Unglauben. Denn viele gehen davon aus, dass das Bestandsniveau erhöht werden muss, um das Serviceniveau zu steigern.
Warum die Auftragserfüllungsrate die Kennzahl für das Serviceniveau sein sollte
Um diesen vermeintlichen Widerspruch besser zu verstehen, müssen wir zwischen zwei Konzepten unterscheiden: der Fähigkeit, die Gesamtnachfrage zu bedienen und der Fähigkeit, Kundenaufträge zu erfüllen. Das Erfüllen von Aufträgen – oder die Auftragserfüllungsrate (Order Line Fill Rate, OLFR) – sollte die wichtigste Kennzahl für das Serviceniveau sein. Schließlich geht es den Kunden nur darum, ob sie ihre Bestellungen erhalten haben und es ist ihnen egal, ob die Nachfrageprognose korrekt war.
Man könnte argumentieren, dass eine genaue Prognose doch ein Indikator für die Fähigkeit sei, Aufträge auszuführen. Und genau hierin liegt das Missverständnis. Die Genauigkeit einer Prognose sieht auf dem Dashboard zwar gut aus, sagt aber nichts über die Auftragserfüllungsrate aus. Warum? Weil die Prognosegenauigkeit, wie sie von den meisten Planungsinstrumenten gemessen wird, sich nur auf die Gesamtnachfrage bezieht, nicht aber auf die Fähigkeit, einzelne Aufträge auszuführen.
Zur Verdeutlichung: zehn Bestellungen in einem Monat für eine einzige LED-Lampe, die an verschiedenen Tagen in zehn verschiedene Teile des Landes versandt werden sollen, erfordern einen völlig anderen Plan als eine Bestellung von zehn Lampen, die an einen einzigen Ort geschickt werden sollen. Aber genau so kommen Supply-Chain-Planer und Lagerarbeiter zu dem Serviceniveau von 99 Prozent. Solange sich von jedem Artikel nur einer im Lager befindet, sind 100 Prozent der Produkte verfügbar. Es ist aber nur eine einzige Bestellung über zehn LED-Lampen erforderlich, um das Konzept auszuhebeln.
Man kann gar nicht genug betonen, wie wichtig es jetzt in Krisenzeiten ist, Lagerhaltungsrichtlinien festzulegen, die sicherstellen, dass die Auftragserfüllungsraten eingehalten werden. Laut der McKinsey-Studie Adapting customer experience in the time of coronavirus haben während der letzten Rezession diejenigen Unternehmen, die die besten Kundenerlebnisse boten, dreimal höhere Renditen erzielt als ihre Konkurrenten.
ABC-Segmentierung hat ausgedient
Doch wie lässt sich eine hohe Auftragserfüllungsrate auf effiziente Weise erreichen? Bestimmt nicht mit ABC-Segmentierung, einem Konzept, dass in den 1960er-Jahren entwickelt wurde und der heutigen Vertriebskomplexität, dem Volumen und der Vielfalt der SKU-Portfolios nicht mehr gerecht wird.
Planer, die ABC-Segmentierung nutzen, wenden letztendlich die gleiche Lagerhaltungspolitik auf viele verschiedene Artikel an und enden mit inakzeptablen Überschüssen und Fehlmengen. ABC-Segmentierung eignete sich zwar für die Verwaltung von Lagerbeständen, aber nicht für deren Optimierung.
Optimierung des Lagerbestandsmixes
Im Gegensatz zur ABC-Segmentierung, bei dem die SKUs in drei Kategorien nach Geschäftswert segmentiert werden, wird bei der Optimierung des Lagerbestandsmixes für jede SKU eine pauschale Inventarpolitik festgelegt. Die Bestandsmixoptimierung segmentiert Artikel nach Serviceklasse und weist dann jeder einzelnen SKU eine eindeutige Serviceebene und Bestandsrichtlinie zu.
Diese stärker kundenorientierten Kategorien sollten für Verkauf und Marketing relevant sein, wie zum Beispiel Zubehör, Artikel mit hoher Gewinnspanne, Eigenmarken, hochwertige Marken und kritische Ersatzteile. Sie definieren nach wie vor aggregierte Service-Level-Ziele, jedoch nach Serviceklassen statt nach ABC-Klassen.
Bei der Bestandsmixoptimierung wird eine fortschrittliche Planungssoftware genutzt, um Bestands-zu-Service-Kurven anzuwenden und so das Serviceniveau und den Sicherheitsbestand für jeden SKU-Standort zu optimieren. Die Bestands-zu-Service-Kurve zeigt das Verhältnis zwischen dem gewünschten Serviceniveau (Auftragserfüllungsrate) und dem durchschnittlich erforderlichen Lagerbestand, wobei die erforderlichen Kontrollniveaus (Sicherheitsbestand, Nachbestellbestand) berücksichtigt werden.
Ein Grundprinzip der Optimierung des Lagerbestandsmixes ist, bestimmten Serviceklassen ein niedrigeres Serviceniveau zuzuweisen – wie zum Beispiel Long-Tail-Artikel, die Kunden nicht dringend benötigen und die nur selten verkauft werden.
Optimierung des Lagerbestandsmixes in der Praxis
Lubinski, der Alleinimporteur für Citroën und Peugeot in Israel, wechselte zu einem intelligenten Planungssystem, um seinen Bestand von rund 20.000 Teilen, 75 Prozent davon Langsamdreher, zu optimieren. Zwar ist das etablierte, familiengeführte Unternehmen mit seiner ABC-Bestandsplanung profitabel, hatte aber eine Ahnung davon, dass sich die Ergebnisse erheblich verbessern lassen.
„Ein Grundprinzip der Optimierung des Lagerbestandsmixes ist, bestimmten Serviceklassen ein niedrigeres Serviceniveau zuzuweisen – wie zum Beispiel Long-Tail-Artikel, die Kunden nicht dringend benötigen und die nur selten verkauft werden.“
Mounira Nouasria, ToolsGroup
Um die Umstellung von ABC-Segmentierung und Tabellenkalkulationen auf ein neues, auf die Optimierung des Bestandsmixes ausgerichtetes System zu testen, führte Lubinski einen Vergleich durch. Die Ergebnisse waren überzeugend. Lubinski erzielte eine 25-prozentige Senkung der Lagerhaltungskosten, reduzierte Eilaufträge per Luftfracht um ein Drittel und sparte erheblich bei Ausschuss und Obsoleszenz.
All dies unter Beibehaltung eines weit über dem Durchschnitt liegenden allgemeinen Serviceniveaus von 95 bis 96 Prozent und mit individuellen Serviceniveaus, die auf die Bedürfnisse eines jeden Produkts abgestimmt sind. Allein durch die Einsparungen bei den Lagerbeständen konnte das Unternehmen so 1,5 Millionen Euro in das Unternehmensergebnis zurückführen.
Auch die Produktivität der Planer stieg. Das neue System von Lubinski ist fast vollständig automatisiert. Heute verbringt eine Person weniger als einen Wochentag damit, den Prozess zu verwalten, sodass das Planungsteam sich nun auf wichtigere, kundenorientierte Arbeiten konzentrieren kann.
Auch die Planer des Unternehmens mussten allerdings erst mit eigenen Augen sehen, dass es tatsächlich möglich ist, durch die Optimierung des Bestandmixes, das Serviceniveau zu verbessern und gleichzeitig den Bestand zu verringern.
Über die Autorin:
Mounira Nouasria ist Head of Sales für Zentraleuropa bei ToolsGroup. Die Logistikexpertin verfügt über mehrjährige branchenübergreifende Erfahrungen in Sachen Supply Chain Management und überregionale Software-Implementierungen. Als Vertriebsexpertin für Supply Chain Planung unterstützt sie ToolsGroup seit 2016. Mounira Nouasria hat einen Abschluss als Wirtschaftsingenieur der HTW des Saarlandes.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.