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Widerspruch oder sinnvoll: IT-Firmen und soziale Verantwortung
Viele Firmen investieren derzeit in soziale Projekte und Nachhaltigkeit und verankern die Botschaft in PR und Marketing. Trotz positiver Aspekte sollte man skeptisch bleiben.
In jüngster Vergangenheit fällt auf, dass viele IT-Firmen das Thema soziale Verantwortung für sich entdeckt haben und verstärkt in entsprechende Programme und Initiativen investieren. Sei es Gleichberechtigung am Arbeitsplatz inklusive Chancengleichheit und gleicher Bezahlung, Diversität, Emissionsabbau, Klimawandel, Gesundheit der Mitarbeiter oder Spenden: Der Trend geht dahin, sich zu engagieren, aber dies dann auch marketing- und PR-tauglich zu verwerten.
Nach dem Motto: „Tue Gutes und rede darüber“ begegnet man immer häufiger Meldungen wie diesen: „Dell gibt die sozialen Ziele für seine Agenda 2030 bekannt“, „Microsoft will bis 2030 eine negative CO2-Bilanz erreichen“ oder „Scality bezahlt seinen Mitarbeitern weltweit Vaterschaftsurlaub“. Jede größere IT-Firma verschreibt sich solchen Initiativen und Projekten, oft angelehnt an staatliche Empfehlungen oder – wie im Fall von Dell EMC, HP oder Fujitsu – an UN-Richtlinien. Dabei betonen die meisten, mehr zu tun als erwartet wird, also noch engagierter für den Klimaschutz oder die Gleichstellung einzutreten, als es öffentliche Gremien in der Zielstellung haben.
Das sieht gut aus, klingt noch besser und hat definitiv positive Effekte. Nichtsdestotrotz müssen sich IT-Firmen auch kritischen Fragen stellen, denn so „Heile Welt“ wie es scheint oder eben werden soll, ist es nicht.
Warum „Soziale Verantwortung“ markttauglich ist
Zunächst sollte festgehalten werden, dass all dies nicht aus reiner Selbstlosigkeit geschieht. Ich möchte niemandem seinen guten Willen und die Ernsthaftigkeit der Initiativen absprechen. Unsere Gesellschaft braucht dieses Engagement. Wer aber glaubt, die Unternehmen ziehen keinen Vorteil daraus, irrt allerdings.
Ein gutes Image zu haben zahlt sich heutzutage aus. Und zum guten Image gehört eben auch, dass Unternehmen Frauen fördern, Anreize für Angestellte schaffen, sich fit zu halten, lokale Vereine unterstützen, dem Klimawandel entgegentreten, eine Multi-Kultur schaffen, Toleranz zeigen und im Großen und Ganzen nachhaltig sind.
Kein Schatten als Umweltsau werfen, sondern einen großen Fußabdruck in Sozialverhalten hinterlassen. Warum? Die Antwort ist recht simpel. Zum einen kämpfen IT-Firmen händeringend um gut ausgebildeten Nachwuchs; und Generation X,Y,Z oder Millennials wollen eben nicht als Lemminge für Großkapitalisten schuften, sondern für verantwortungsbewusste Unternehmen, die beim Begriff Diversität keine Pickel bekommen, Jungvätern verständnisvoll begegnen und eine Übergriffigkeit gegenüber Frauen auch als solche ahnden.
Zudem soll die Work-Life-Balance stimmen. Somit sind IT-Firmen regelrecht zu einem Umdenken gezwungen, denn wer keine solche Programme oder Unternehmenskultur vorweisen kann, wird als Arbeitgeber unattraktiv. Des Weiteren sehen sich auch Investoren und potentielle Aktionäre nach Alternativen zu den herkömmlichen Anlageoptionen um. Die müssen dann politisch korrekt, divers, grün und klimaneutral sein, quasi das Salatblatt des Investments. Und wer schaut schon bei genügend grün nach, wie verkohlt eventuell der Burger darunter ist.
Darüber hinaus werden Firmen durchaus auch belohnt für entsprechende Sozialprojekte, sei es mit Steuervergünstigungen bei Spenden oder anderen staatlichen Förderungen. Nicht zuletzt ist es aber auch der Anwender, der genauer hinschaut bei der Wahl seines Dienstleisters oder Herstellers, auch hier macht die IT-Branche keine Ausnahme. Wer ökologisch und sozial punktet, wird wahrscheinlich eher zum Geschäftsabschluss kommen als Firmen, die Kinderarbeit und Dumpinglöhne fördern.
Und damit die Botschaft eben auch beim Rezipienten ankommt, muss die Marketing- und PR-Trommel geschlagen werden. Laut. Und oft.
Ich möchte betonen, dass soziales Engagement keine Erfindung der letzten zehn Jahre ist. Viele der großen Unternehmen und Konzerne haben seit Jahren entsprechende, meist lokale, Projekte unterstützt. Nur wurde es nicht nach außen getragen oder nicht so plakativ. Hinzugekommen sind dagegen sehr wohl Initiativen für Frauen und das Klimabewusstsein. Und die Erkenntnis, dass es sich lohnt, darüber zu sprechen.
Ein weites Feld: Corporate Social Responsibility
Zum Glück für alle Marketing- und PR-Abteilungen gibt es mittlerweile einen eigenen Begriff, der die sozialen Bestrebungen der Unternehmen auf einen Nenner bringt: Corporate Social Responsibility (CSR). Das deutsche Bundesministerium für Arbeit und Soziales definiert dies so: „Unter ‚Corporate Social Responsibility‘ oder kurz CSR ist die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens zu verstehen.“ So kurz, so schön, so tragfähig, so interpretierbar.
Im Detail heißt es da, dass Firmen die Verantwortung für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft übernehmen sollen, unter ökologischen und ökonomischen Aspekten. Dabei werden Richtlinien wie die ILO-Grundsatzerklärung über Unternehmen und Sozialpolitik, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, der UN Global Compact oder die ISO 26000 angegeben.
Und weil kein Programm etwas nutzt, ohne Vergleiche anzustellen und Ranglisten zu erheben, gibt es seit geraumer Zeit auch die Top 100 und die Top 10 der Unternehmen mit dem besten CSR-Image. Die Studie wird von Global CR RepTrak 100 herausgegeben und bewertet die einzelnen Firmen nach eigenen Angaben wie folgt:
- 20,1% Produkte und Services
- 14,8% Corporate Governance
- 14,4% Staatsangehörigkeit
- 13,2% Finanzielle Performance
- 13,1% Innovation
- 12,9% Führungsstil
- 11,5% Qualität des Arbeitsplatzes
Ergibt: 100 Prozent Unternehmensreputation. Allerdings ist das Bewertungssystem ein wenig fragwürdig, da keiner der Punkte konkrete Details über Nachhaltigkeit oder soziale Verantwortung gibt.
Für 2020 veröffentlichte RepTrack eine Liste der 10 besten Unternehmen:
- Lego
- The Walt Disney Company
- Rolex
- Ferrari
- Microsoft
- Levi’s
- Netflix
- Adidas
- Bosch
- Intel
Zwei IT-Riesen haben es immerhin auf diese Liste der Studie geschafft, die wie gesagt etwas undurchsichtig ist. So war beispielsweise Ferrari in den vorherigen Jahren nicht einmal unter den Top 100 und rangiert nun auf Platz 4.
Es kann nicht an der Nutzung erneuerbarer Energien liegen, die meisten Ferraris werden immer noch fossil betrieben, auch wenn dies sicher nur ein Unterpunkt ist. Ein Ranking wie dieses ist sicher schick in der Firmengeschichte, nutzt aber keinem.
Wenn der Computerreparaturladen von gegenüber dafür sorgt, dass Altrechner recycelt oder Computer so lange wie möglich wiederbelebt und genutzt werden, und zudem nur Ökostrom einsetzt, als Mitarbeiter 50 Prozent Frauen angestellt hat, die das Gleiche wie ihre männlichen Kollegen verdienen und das örtliche Kinderkrankenhaus unterstützt, dann ist das nachhaltig und sozial gerecht, wird es aber wohl niemals auf diese Liste schaffen.
Und Listen wie diese sollte man mit Vorsicht behandeln, denn wie der Name schon sagt, wird hier der Ruf des Unternehmens, also das Image, bewertet. Wie verantwortungsvoll die jeweilige Firma mit den eigenen Auswirkungen auf seine Umwelt umgeht, muss dann genauer unter die Lupe genommen werden.
Generell wird es für Kunden, Anwender, CTOs, Entscheidungsträger, Arbeitssuchende jedoch schwierig, hier wirklich Spreu vom Weizen zu trennen. Dies bedarf detaillierter und individueller Recherche.
Die Rechnung geht nicht auf
Nachhaltigkeit ist wichtig. Diversität ist wichtig. Soziale Verantwortung ist wichtiger denn je zuvor. Und doch… kann diese Rechnung nicht aufgehen. Wie lassen sich Nachhaltigkeit und Klimaschutz mit profitgetriebenen Geschäftszielen vereinbaren? Und machen wir uns nichts vor: All diese Initiativen und Programme sind Luxus, den sich ein Unternehmen leisten können muss.
Nachhaltigkeit ist für mich nicht nur ressourcenschonende Produktion, neue Energien oder Gleichstellung aller Angestellten, unabhängig von Geschlecht, Religion, Hautfarbe oder Schuhgröße. Nachhaltig bedeutet in erster Linie weniger von allem: weniger Konsum, gedeckelte Manager-Gehälter, weniger Hierarchien, weniger Überschuss und weniger Druck. Dafür ein Mehr an übergreifendem Mitspracherecht, längeren Produktlebens- und Wartungszeiten, an Betriebsräten und sozialem Miteinander.
Aber wie soll und kann das funktionieren? So lange Unternehmen nur Wachstumsraten im zweistelligen Bereich als Erfolg ansehen und eben nicht ein eher flaches Wachstum tolerieren und damit zufrieden sein können, schwarze Zahlen ohne Arbeitnehmerentsorgungen zu schreiben, so lange wird es schwer fallen, all die sozialen Bemühungen ohne kritische Fragen zu feiern. So lange börsennotierte Firmen dem Druck von Aktionären nachgeben (müssen?), sobald die Dividende nicht stimmt, so lange muss man fürchten, dass ebensolche Projekte dem Rotstift anheimfallen könnten.
So lange nicht jedes IT-Unternehmen ein eigenes grünes beziehungsweise klimaneutrales oder CO2-negatives Rechenzentrum mit Ökostrom betreibt, so lang muss sich die IT-Branche das G’schmäckle des Greenwashings gefallen lassen. So lange Hyperscaler und zunehmendes Internet-/Netflix-/Gaming-Nutzungsverhalten die Energiebilanz in die Höhe treiben, so lange wird es eben nichts mit Nachhaltigkeit oder Klimaneutralität.
Soll man deswegen Corporate Social Responsibility verteufeln? Keinesfalls! Vielmehr sollte jeder – Mitarbeiter, Kunde, Anwender, Investor – nicht einfach nur schauen, dass der Tagesordnungspunkt Nachhaltigkeit und Soziales Engagement abgehakt wird, sondern dafür Sorge tragen, dass der Weg bis zum Ende gegangen wird.
Woher kommen die Rohstoffe für meine Hardware? Wie viel davon wird recycelt und wo? Wie handhaben global agierende Unternehmen soziale Gerechtigkeit, beispielsweise in Billiglohnländern? Das heißt natürlich auch, dass jeder Verantwortung übernehmen muss, sei es beim eigenen Konsum, beim eigenen Engagement, bei der Arbeit oder einfach in jedem täglichen Aspekt. Und genau das bedeutet, kritisch zu hinterfragen, zu reflektieren, zu ändern. Es gibt viel Lektüre zum Thema. Im Zweifel muss man sich intensiv mit dem Thema beschäftigen, etwas länger suchen, recherchieren und nachlesen, auch das ist nachhaltig. Jede soziale Initiative ist gut, sofern sie eben nicht als Marketingblase verpufft oder instrumentalisiert wird.
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