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Technologietrends 2024: Die Entwicklungen der nahen Zukunft

Im Jahr 2024 rechnet Amazon CTO Werner Vogels vor allem mit Weiterentwicklungen bei generativer KI und FemTech. Aber auch Entwicklungsgeschwindigkeit und IT-Bildung verändern sich.

Schon immer entwickeln Menschen Werkzeuge und Systeme, um ihre Fähigkeiten zu verbessern und zu erweitern. Ob Druckerpresse oder Fließband – technische Innovationen haben uns in die Lage versetzt, Dinge zu tun, die früher nicht möglich waren. Dadurch haben sich Arbeitsplätze verändert, neue Berufe sind entstanden, und die Menschen haben sich angepasst.

Im vergangenen Jahr hat sich dieser Wandel rasant beschleunigt. Der verbesserte Zugang zu Cloud-Technologien, maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz wirkt auf nahezu jeden Aspekt unseres Lebens aus – vom Schreiben einer E-Mail über die Entwicklung von Software bis hin zur Früherkennung von Krebs. Die kommenden Jahre werden Innovationen bringen, die den Zugang zu neuen Technologien weiter demokratisieren und uns helfen werden, mit dem Tempo des täglichen Lebens Schritt zu halten. Eine zentrale Rolle spielt dabei generative KI.

Generative KI entwickelt kulturelles Verständnis

Große Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs), die auf Basis vielfältiger Daten trainiert wurden, entwickeln ein immer differenzierteres Verständnis für menschliche Erfahrungen und komplexe, gesellschaftliche Herausforderungen. Durch diese wachsenden kulturellen Fähigkeiten wird generative KI weltweit für Nutzer zugänglicher.

Unsere Kultur beeinflusst alles: die Geschichten, die wir erzählen, die Dinge, die wir essen, die Art, uns zu kleiden, unsere Werte, unsere Umgangsformen, unsere Vorurteile, die Art und Weise, wie wir Probleme angehen und Entscheidungen treffen. Kultur ist die Grundlage dafür, wie jeder Einzelne in einer Gemeinschaft lebt. Sie stellt Regeln und Richtlinien auf, die unser Verhalten und unsere Überzeugungen bestimmen und die sich ändern – je nachdem, wo wir uns aufhalten und mit wem wir zusammen sind.

Diese Veränderungen können zu Verwirrung und Fehlinterpretationen führen. In Japan ist es zum Beispiel normal, die Nudelsuppe zu schlürfen. In anderen Kulturen gilt das als unhöflich. Bei einer traditionellen Hochzeit in Indien trägt die Braut eine aufwendig gestaltete und farbenfrohe Lehenga – in der westlichen Welt ist ein weißes Kleid üblich. Und in Griechenland soll es Glück bringen, wenn das Hochzeitskleid bespuckt wird.

Wir Menschen sind daran gewöhnt, kulturübergreifend zu arbeiten. Wir können Informationen in einen Kontext stellen und sie zusammenfassen, um sie besser zu verstehen und angemessen reagieren zu können. Und das erwarten wir auch von der Technik, auf die wir uns im täglichen Leben verlassen. In den kommenden Jahren werden kulturelle Aspekte eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie Technologien entwickelt, eingesetzt und genutzt werden. Das gilt vor allem für generative KI.

Damit LLM-Systeme ein weltweites Publikum erreichen können, benötigen sie die kulturellen Fähigkeiten, die Menschen instinktiv haben. Anfang 2023 veröffentlichten Forscher des Georgia Institute of Technology ein interessantes Ergebnis: Nach einer KI-Anweisung auf Arabisch, die das islamische Gebet erwähnte, generierte ein LLM auch die Empfehlung, mit Freunden ein alkoholisches Getränk zu trinken. Dieser Ratschlag war kulturell nicht angemessen und ist zum Großteil auf die verfügbaren Trainingsdaten zurückzuführen: Der Webcrawler Common Crawl, mit dem viele LLMs trainiert werden, ist zu 46 Prozent englischsprachig. Und ein noch größerer Prozentsatz der verfügbaren Inhalte ist – unabhängig von der Sprache – kulturell westlich geprägt, mit einer deutlichen Tendenz zu den Vereinigten Staaten. Dementsprechend generierte ein Modell, das speziell für die arabische Sprache trainiert worden war, nach Eingabe des gleichen Prompts Empfehlungen, die kulturell angemessen waren – etwa einen Tee zu trinken.

In den letzten Monaten sind einige LLMs entstanden, die nicht auf die westliche Kultur zugeschnitten sind: Dazu zählen Jais, das auf arabischen und englischen Daten trainiert wurde, Yi-34B, ein zweisprachiges Modell für Chinesisch/Englisch, sowie Japanese-large-lm, das auf einem umfangreichen japanischen Web-Korpus trainiert wurde. Diese nicht-westlichen Modelle machen generative KI für Hunderte von Millionen Menschen zugänglich. Und das hat weitreichende Auswirkungen – ob in der Bildung oder in der medizinischen Versorgung.

Sprache und Kultur sind nicht dasselbe. Selbst die Fähigkeit, perfekt zu übersetzen, verleiht einem KI-Modell kein kulturelles Bewusstsein. Durch die Einbettung einer Vielzahl von Geschichten und Erfahrungen können LLMs aber eine breitere, weltweite Vielfalt von Perspektiven entwickeln. Genauso wie Menschen durch Diskussionen und den Austausch von Ideen lernen, brauchen LLMs Möglichkeiten, um ihren Blickwinkel zu erweitern und die jeweilige Kultur zu verstehen.

Dabei spielen zwei Forschungsbereiche eine zentrale Rolle: Beim verstärkenden Lernen aus KI-Feedback (Reinforcement Learning from AI Feedback – RLAIF) bezieht ein Modell die Antworten anderer Modelle mit ein. Dadurch können verschiedene Modelle miteinander interagieren und auf dieser Basis ihr Verständnis für diverse kulturelle Konzepte erweitern. Der zweite Bereich ist die Zusammenarbeit in Form von Multi-Agent-Debatten: Mehrere Instanzen eines Modells generieren Antworten, tauschen sich über deren Gültigkeit sowie damit verbundene Überlegungen aus und kommen in diesem Diskussionsprozess schließlich zu einer gemeinsamen Antwort. Mit beiden Technologien lässt sich der Aufwand für das Training und die Feinabstimmung von Modellen verringern.

FemTech nimmt endlich Fahrt auf

Enorme Fortschritte zeichnen sich in der Gesundheitsfürsorge für Frauen ab. Die Gründe hierfür sind hohe Investitionen in den sogenannten FemTech-Markt, eine zunehmend hybride Versorgung (analog/online) sowie die Fülle von Daten, die bessere Diagnosen und Ergebnisse ermöglichen. Von dieser Entwicklung profitieren nicht nur Frauen, sondern das gesamte Gesundheitssystem.

Das Gesundheitswesen für Frauen (FemTech) ist kein Nischenmarkt. Allein in den Vereinigten Staaten geben Frauen jährlich mehr als 500 Milliarden Dollar für die Gesundheitsversorgung aus. Sie machen die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus und treffen 80 Prozent der Entscheidungen im Healthcare-Bereich. Die heutige Medizin basiert allerdings vorwiegend auf Studien an Männern. Erst mit dem NIH Revitalization Act von 1993 wurden Frauen in den USA in die klinische Forschung einbezogen. Themen wie Menstruation und Wechseljahre galten in der Vergangenheit als Tabu. Und da Frauen von Studien weitgehend ausgeschlossen waren, waren ihre Ergebnisse in vielen Bereichen schlechter als bei Männern. So werden zahlreiche Krankheiten bei Frauen später erkannt. Und die Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose nach einem Herzinfarkt ist um 50 Prozent höher als bei Männern. Das vielleicht eklatanteste Beispiel für diese Ungleichheit sind verschreibungspflichtige Medikamente: Hier leiden Frauen deutlich häufiger unter unerwünschten Nebenwirkungen als Männer.

2022 legte das Finanzierungsvolumen im FemTech-Markt um 197 Prozent zu. Mit diesen Investitionen, unterstützt durch Cloud-Technologien und einen verbesserten Zugang zu Daten, kann die medizinische Ungleichbehandlung von Frauen und Männern zunehmend verbessert werden. Auch maschinelles Lernen und vernetzte Geräte, die speziell für Frauen entwickelt werden, treiben den Wandel voran. Dabei geht es nicht nur um eine veränderte Wahrnehmung des Themas, sondern auch um neue technische Möglichkeiten. Beispiele hierfür liefern FemTech-Unternehmen wie Tia, Elvie und Embr Labs: Durch das enorme Potenzial von Datennutzung und prädiktiver Analytik rücken bislang übersehene Krankheiten und Bedürfnisse von Frauen in den Fokus. In Zukunft kann jede Patientin eine individuell auf sie zugeschnittene Behandlung erhalten – sowohl zuhause als auch unterwegs.

Zu dieser Entwicklung tragen auch hybride Modelle bei. Sie profitieren von der Zunahme medizinischer Online-Plattformen und kostengünstiger Diagnosegeräte sowie von einem verbesserten On-Demand-Zugang zu medizinischem Fachpersonal. Als führend in diesem Bereich hat sich Maven erwiesen, eine Art virtuelle Klinik für Frauen und Familien. Durch umfassende Angebote – von Beziehungsberatung bis hin zur Betreuung in der Menopause – verschwimmen die Grenzen zwischen psychischer Gesundheit und körperlichem Wohlbefinden.

Mit der Weiterentwicklung solcher Plattformen demokratisiert sich die medizinische Versorgung: Frauen in ländlichen, unterversorgten Regionen können sich über Apps und Telemedizin-Plattformen mit Gynäkologen, Psychiatern und anderen Spezialisten austauschen. Mit intelligenten Tamponsystemen, etwa von NextGen Jane, erstellen Frauen Profile von ihrer Gebärmuttergesundheit. Sie können potenzielle genomische Krankheitsmarker identifizieren und die Ergebnisse mit ihren Ärzten teilen. Auch Wearables liefern den Nutzerinnen und ihren Ärzten eine Fülle von Gesundheitsdaten für detaillierte Auswertungen. Bis heute werden die Menopause-Symptome von mehr als 70 Prozent aller Frauen nicht behandelt. Umfassende Aufklärung, Datenanalyse und nicht-invasive Lösungen sorgen für deutliche Verbesserungen – weit über die gynäkologische Versorgung hinaus.

Ein Beispiel: Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen erlitten etwa 30 Sportlerinnen Verletzungen des Kreuzbands und konnten nicht am Turnier teilnehmen. Denn das Training läuft genauso ab wie bei männlichen Fußballprofis, die spezielle weibliche Physiologie wird nicht berücksichtigt. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Fußballerinnen eine Kreuzbandverletzung zuziehen, sechsmal höher als bei ihren männlichen Kollegen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich vollständig davon erholen und auf das Spielfeld zurückkehren, ist um 25 Prozent geringer. Eine Analyse individueller Daten kann nicht nur helfen, Verletzungen vorzubeugen – sie trägt ganzheitlich zur Gesundheit von Sportlerinnen bei.

Die Gesundheitsfürsorge für Frauen befindet sich an einem Wendepunkt. Eine Fülle unterschiedlicher Daten in Verbindung mit Cloud-Technologien wie Computer Vision und Deep Learning hilft, Fehldiagnosen zu reduzieren. Nebenwirkungen von Medikamenten, von denen Frauen bislang unverhältnismäßig stark betroffen waren, lassen sich minimieren, und Krankheiten wie Endometriose und postpartale Depression erhalten endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Und immer mehr von Frauen geführte Teams befassen sich mit weiblichen Gesundheitsproblemen. Von diesen Fortschritten profitieren nicht nur die Patientinnen, sondern das gesamte Gesundheitssystem.

KI definiert Entwicklerproduktivität neu

KI-Assistenten sind bereits heute keine reinen Code-Generatoren mehr. In Zukunft werden sie Programmierer über den gesamten Lebenszyklus der Softwareentwicklung hinweg unterstützen. Sie werden in der Lage sein, komplexe Systeme in einfacher Sprache zu erklären, gezielte Verbesserungen vorzuschlagen und repetitive Aufgaben zu übernehmen. Damit können sich die Entwickler auf relevantere Tätigkeiten konzentrieren.

Werner Vogels, Amazon.com

„Die künftigen KI-Assistenten werden nicht nur Code verstehen und schreiben, sondern auch unermüdliche Mitarbeiter und Lehrer sein.“

Werner Vogels, Amazon.com

Für 2021 hatte ich vorausgesagt, dass generative KI eine wichtige Rolle bei der Erstellung von Software spielen wird – indem sie die Fähigkeiten der Entwickler erweitert und sie unterstützt, sicheren und zuverlässigen Code zu schreiben. Genau das erleben wir jetzt, mit Tools und Systemen, die komplette Funktionen, Klassen und Tests auf Basis von Eingabeaufforderungen in natürlicher Sprache generieren. In der Stack-Overflow-Umfrage von 2023 gaben 70 Prozent der Entwickler an, dass sie bereits KI-gestützte Tools in ihren Entwicklungsprozessen einsetzen oder das planen.

Die künftigen KI-Assistenten werden nicht nur Code verstehen und schreiben, sondern auch unermüdliche Mitarbeiter und Lehrer sein. Keine Aufgabe wird sie erschöpfen, und sie werden niemals ungeduldig werden, wenn sie ein Konzept erklären oder eine Tätigkeit wiederholen müssen – egal, wie oft sie gefragt werden. Sie haben unendlich viel Zeit und können das gesamte Team in allen Bereichen unterstützen, von Code-Reviews bis hin zur Produktstrategie.

Durch den Einsatz von KI verschwimmen die Grenzen zwischen Produktmanagern, Front- und Backend-Ingenieuren, Datenbank-Administratoren, UI/UX-Designern, DevOps-Ingenieuren und Software-Architekten. KI-Assistenten entwickeln ein zunehmend kontextbezogenes Verständnis für komplette Systeme, nicht nur für isolierte Module. Dadurch können sie künftig Empfehlungen aussprechen und so die menschliche Kreativität ergänzen. Denkbare Beispiele sind das Übersetzen einer Skizze auf einer Papierserviette in Code, das Generieren von Vorlagen aus einem Lastenheft oder die Auswahl der optimalen Infrastruktur für eine bestimmte Aufgabe – etwa Serverless versus Container.

Die neuen KI-Assistenten werden in hohem Maße anpassbar sein – auf der Ebene einer Person, eines Teams oder des gesamten Unternehmens. Sie können komplexe, verteilte Systeme wie Amazon S3 in einfachen Worten erklären. Das ist ein Vorteil von unschätzbarem Wert. Junior-Entwickler werden sich mit ihrer Unterstützung schnell in eine ihnen unbekannte Infrastruktur einarbeiten. Erfahrene Ingenieure werden KI nutzen, um ein neues Projekt oder eine Code-Basis innerhalb kurzer Zeit zu verstehen. Während es früher Wochen gedauert hat, die Auswirkungen einer Code-Änderung zu erfassen, können die künftigen KI-Assistenten solche Modifikationen sofort bewerten, ihre Folgen für andere Teile des Systems zusammenfassen und bei Bedarf zusätzliche Änderungen vorschlagen.

Bereits heute übernehmen KI-Assistenten einige der besonders mühsamen Aufgaben in der Softwareentwicklung: Das Schreiben von Unit-Tests und Boilerplate-Code sowie das Debuggen sind ungeliebte Zusatztätigkeiten, die ohne KI-Unterstützung oft auf der Strecke bleiben. Künftig werden KI-Tools in der Lage sein, komplette Legacy-Anwendungen neu zu gestalten und zu migrieren – etwa ein Upgrade von Java 8 auf Java 17 oder die Zerlegung eines Monolithen in Microservices. Natürlich müssen die Entwickler nach wie vor Ergebnisse planen und bewerten. Aber die KI-Assistenten werden ihnen dabei helfen, etwa indem sie Recherchen übernehmen, den passenden Algorithmus für ein verteiltes System auswählen oder einen Weg finden, um von einem Primär-Backup-Ansatz zu einer Aktive-Aktive-Implementierung zu wechseln. Die KI-gestützten Helfer können sogar verstehen, wie sich einzelne Ressourcen auf die Effizienz auswirken, und entsprechende Preismodelle entwickeln. In der Folge wird es mehr Arbeit geben als je zuvor. Aber die Entwickler werden von undifferenzierten Aufgaben wie der Softwareaktualisierung entlastet und können sich stärker auf kreative Tätigkeiten konzentrieren, die Innovationen voranbringen.

Der Einsatz künftiger KI-Assistenten wird die Softwareentwicklung in den kommenden Jahren immer produktiver machen und zu qualitativ hochwertigeren Systemen führen. Zudem verkürzen sich die Lebenszyklen der Softwareversionen.

Bildung verändert sich mit Technologiegeschwindigkeit

Die Hochschulausbildung allein kann mit dem Tempo des technologischen Wandels nicht mehr mithalten. Es braucht zusätzliche Trainingsangebote, in denen spezielle, auf die Anforderungen der Industrie zugeschnittene Skills praxisnah vermittelt werden – ähnlich wie in der Ausbildung von Handwerkern. Von diesem Ansatz des kontinuierlichen Lernens profitieren Teilnehmer und Unternehmen gleichermaßen.

Früher waren die Softwareentwicklungszyklen sehr lang. Oft dauerte die Entwicklung über fünf Jahre, bis Produkte in die Hände der Kunden gelangen. In den späten Neunzigerjahren war dieser Ansatz noch akzeptabel. Heute wäre die Software schon veraltet, bevor sie überhaupt zum Einsatz käme. Denn die Produktentwicklungszyklen haben sich in den letzten Jahren deutlich verkürzt – dank Cloud Computing, einer Kultur der kontinuierlichen Verbesserung sowie dem Minimal-Viable-Product-Ansatz. Hier bringt der Hersteller eine erste Version eines Produkts auf den Markt, die nur über Basisfunktionen verfügt. Anhand des Nutzer-Feedbacks kann er dann gezielte Verbesserungen vornehmen. Dank solcher Methoden können Unternehmen ihre Produkte schneller auf den Markt bringen als je zu vor. Auch das Tempo, in dem Kunden neue Technologien übernehmen, ist rasant gestiegen. Bei diesem zunehmend dynamischen Zusammenspiel von Technologie und Wirtschaft kann ein Bereich nicht mehr mithalten: die Hochschulbildung.

Ein Hochschulabschluss gilt überall auf der Welt als Voraussetzung, um einen guten Job in der Technologiebranche zu bekommen. Doch dieses Modell gerät allmählich ins Wanken. Angesichts steigender Kosten stellen immer mehr junge Menschen den Wert des Studiums infrage, wenn auch eine praktische Ausbildung möglich ist. Für Unternehmen bieten praxisnahe Qualifizierungen ebenfalls klare Vorteile. Da in immer mehr Branchen spezialisierte Fachkräfte gefragt sind, wächst die Kluft zwischen dem Wissen, das an der Hochschule gelehrt wird, und den Kompetenzen, die tatsächlich gebraucht werden. Ähnlich wie die Softwareentwicklung der vergangenen Jahrzehnte gelangt die technische Ausbildung an einen Wendepunkt, und wir werden erleben, wie sich das, was einst ein maßgeschneidertes Training on the Job für einige wenige war, zu einer industriegeleiteten kompetenzbasierten Ausbildung für viele entwickelt.

Anzeichen für diesen Wandel sind bereits seit Jahren sichtbar. So kooperiert der Weiterbildungsspezialist Coursera, dessen Angebote sich ursprünglich an Endverbraucher richteten, zunehmend mit Unternehmen, die ihre Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen ausbauen wollen. Berufsausbildungen erfreuen sich wachsender Beliebtheit, da sich die Auszubildenden spezialisieren und währenddessen Geld verdienen können. Viele Unternehmen erhöhen ihre Investitionen in eine kompetenzbasierte Aus- und Weiterbildung. Amazon beispielsweise hat bereits rund 21 Millionen Menschen weltweit in technischen Skills geschult. Beim Mechatronik- und Robotik-Lehrgang oder im AWS Cloud Institute etwa können Lernende in verschiedenen Stadien ihrer beruflichen Laufbahn genau die Fähigkeiten erwerben, die sie für eine bestimmte Position benötigen, ohne an einem gesamten mehrjährigen Programm teilnehmen zu müssen.

Dieses Konzept orientiert sich an der Ausbildung von Handwerkern wie Elektrikern, Schweißern und Tischlern: Deren Fähigkeiten werden zum Großteil nicht im Klassenzimmer vermittelt, sondern am Arbeitsplatz – vom Lehrling bis zum Gesellen und unter Umständen zum Meister. Dabei gibt es klar definierte Wege, sich weiterzubilden. Diese Form des lebenslangen Lernens bietet handfeste Vorteile sowohl für die Azubis als auch für die Unternehmen.

Das heißt nicht, dass die traditionellen Abschlüsse keine Bedeutung mehr haben. Es geht nicht um ein entweder/oder, sondern um eine größere Vielfalt an Möglichkeiten. Auch in Zukunft wird es Bereiche geben, die eine akademische Laufbahn voraussetzen. Doch in vielen Branchen dauert der herkömmliche Bildungsweg zu lange, um mit den immer neuen und sich schnell verändernden Technologien Schritt halten zu können. Dringend benötigt werden mehr praxisbezogene Aus- und Weiterbildungsangebote. Um diesen Anforderungen der Wirtschaft gerecht zu werden, werden wir eine neue Ära industriegeführter Weiterbildungsangebote sehen, die man keinesfalls unterschätzen sollte.

Über den Autor:
Dr. Werner Vogels ist Vice President und Chief Technology Officer von Amazon.com und treibt in seiner Funktion die Technologieinnovationen innerhalb des Unternehmens voran. Der studierte Informatiker ist bereits seit 2004 bei Amazon tätig und schreibt parallel seit fast 20 Jahren in seinem Blog All Things Distributed über Technologiethemen.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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