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SAP S/4HANA: was hinter der Clean-Core-Strategie steckt

SAP S/4HANA-Systeme sollen im technischen Kern möglichst wenig berührt werden, Erweiterungen sind stattdessen über die Business Technology Platform (BTP) möglich.

Für SAP-Anwenderunternehmen steht derzeit die bislang wohl größte Transformation ihrer ERP-Landschaft an: der Umstieg auf die neue Produktgeneration SAP S/4HANA. Selbst wenn solche Grundsatzfragen wie Greenfield oder Brownfield bereits beantwortet sind, so schließt sich gleich die nächste strategische Entscheidung an, nämlich die nach dem Betriebsmodell: Folgt man den Vorstellungen der SAP eines möglichst kompletten Cloud-Betriebs? Wird ein hybrides Modell bevorzugt (wie bei den meisten Unternehmen) oder soll das S/4HANA-System On-Premises laufen? Und wenn Cloud, welche Bereitstellungsform: Public oder Private Cloud?

Erschwerend kommt hinzu, dass solche Entscheidungen nicht das SAP-System allein betreffen, sondern sie tangieren ebenso andere Softwareanwendungen, die das ERP ergänzen. Im Rechnungswesen oder im Einkauf sind das zum Beispiel Lösungen für Workflows oder Dokumentenverwaltung. Nicht selten sind aufwendige Anpassungen erforderlich, damit diese auch in der neuen SAP-Welt laufen. Wer jetzt vor ihrer Anschaffung steht, sollte daher darauf achten, dass diese den Weg der S/4HANA-Migration problemlos mitgehen, mit anderen Worten lauffähig sind für alle SAP-Deployment-Modelle.

SAP-Deployment-Modelle

Ein gewisser Teil Cloud wird künftig auf jeden Fall dabei sein, dafür drängt SAP seine Produkte einfach zu sehr in diese Richtung. Hier steht die erste Entscheidung an: Private oder Public Cloud. Bei der S/4HANA Cloud Private Edition ist der Funktionsumfang dem eines On-Premises installierten S/4HANA-Systems sehr ähnlich. Der Zugriff kann über das SAP GUI oder über das Fiori Launchpad erfolgen. Kunden haben Zugriff auf den Konfigurationsleitfaden und SAP bietet jährlich Upgrades an, die das Unternehmen allerdings selbst durchführt. In welchem Tempo, bleibt freigestellt, solange man im Rahmen der Mainstream-Wartung bleibt. Dieses Modell ermöglicht eine Migration im Greenfield-Ansatz oder auch eine Systemumwandlung sowie eine selektive Datenmitnahme aus dem Altsystem.

Als klassisches Software-as-a-Service-Angebot (SaaS) positioniert SAP demgegenüber seine S/4HANA Cloud Public Edition. Empfohlen wird sie vor allem mittelständischen Unternehmen und Neukunden. Es handelt sich um eine standardisierte Multi-Tenant-Landschaft. Der Zugriff auf das System kann nur über das Fiori Launchpad erfolgen. Kunden haben keinen Zugriff auf den Konfigurationsleitfaden und es steht keine ArchiveLink-Schnittstelle zur Verfügung, stattdessen kommt CMIS (Content Management Interoperability Service) zum Einsatz.

Die Integration von Add-ons ist hier nicht so einfach wie bisher, denn SAP möchte seinen Softwarekern möglichst unangetastet lassen. Das Stichwort lautet Clean Core. Durch die geringere Komplexität sollen Stabilität, Zuverlässigkeit und Agilität des Kernsystems gewährleistet werden. Automatisierte Upgrades und Vermeiden manueller Prozesse reduzieren für die Anwenderunternehmen zudem den Zeitaufwand und senken Kosten. Agile Einsteuerung von Innovationen und Anpassung an sich ändernde geschäftliche Anforderungen führen schließlich zu gesteigerter Effizienz. Um individuelle Zusatzprodukte und Eigenentwicklungen anzugliedern, wird den Kunden daher die Business Technology Platform (BTP) bereitgestellt.

SAP BTP hält den Systemkern sauber

Als Integrationsplattform, auf der Partner und Kunden von SAP ihre Add-ons und Eigenentwicklungen betreiben können, ist die BTP interessant für solche Unternehmen, die einzelne Bereiche oder Prozesse in die Cloud auslagern wollen. Die Trennung der Standardprozesse auf SAP S/4HANA und Custom-Prozesse auf der BTP erlaubt nahtlose Updates und Patch-Releases, ohne die Standardfunktionalität des neuen SAP-Kerns zu beeinträchtigen. Das minimiert Ausfallzeiten und Risiken. Unternehmen können Innovationen, neue Prozesse und Technologien in Marktgeschwindigkeit übernehmen.

Im Bereich Customer Experience können Unternehmen zum Beispiel BTP-Services wie SAP Commerce Cloud oder SAP Marketing Cloud nutzen. Durch Einsatz von SAP Analytics Cloud oder SAP Data Warehouse Cloud auf der SAP BTP lassen sich erweiterte Analysen und Berichte über Daten aus verschiedenen Quellen erstellen.

Dina Haack, xSuite Group GmbH

„Die Trennung der Standardprozesse auf SAP S/4HANA und Custom-Prozesse auf der BTP erlaubt nahtlose Updates und Patch-Releases, ohne die Standardfunktionalität des neuen SAP-Kerns zu beeinträchtigen.“

Dina Haack, xSuite Group GmbH

Im Bereich kaufmännischer Prozesse sind Rechnungs-Workflows ein Beispiel, mit denen sich die Rechnungseingangsverarbeitung vollständig digitalisieren und automatisieren lässt. Sie unterstützen beim E-Invoicing, holen eingehende XML-Rechnungen ab, lesen ihre Inhalte aus und übergeben die relevanten Informationen automatisch in die entsprechenden Felder des ERP-Systems. Eine weitere BTP-Anwendung ist zum Beispiel ein Geschäftsportal zum Dokumentenaustausch mit Lieferanten.

Modularer, entkoppelter Ansatz

So lassen sich also Innovationen und zusätzliche Funktionalitäten bereitstellen, ohne den SAP-Kern zu berühren. Ein modularer, entkoppelter Ansatz: Das Kernsystem konzentriert sich auf wesentliche Funktionen, während nicht zum Kern gehörende Services durch Auslagerung auf die BTP zugeführt und somit schnell marktfähig gemacht werden. Indem Hersteller ihre Spezialanwendungen über die Plattform bereitstellen, tragen sie zu einer möglichst reibungslosen S/4HANA-Migration bei.

Über die Autorin:
Dina Haack ist Head of Marketing bei der xSuite Group GmbH.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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