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Ran an die IoT-Daten: digitale Ökosysteme in Deutschland
Deutschland hinkt bei digitalen Geschäftsmodellen hinterher. Dabei sitzen viele traditionelle Branchen auf Bergen wertvoller Daten, die ein digitales Ökosystem stärken könnten.
Im üblichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff Ökosystem eine Lebensgemeinschaft von Organismen mehrerer Arten und ihrer unbelebten Umwelt. Digitale Ökosysteme sind damit vergleichbar: Neben einer Plattform umfasst es Organisationen, Unternehmen und allen voran Menschen, die unabhängig voneinander arbeiten und miteinander interagieren.
Wie überall, wo Menschen am Werk sind, entsteht ein nicht zu unterschätzender Netzwerkeffekt. Über 85 Prozent des von Apple im Ökosystem generierten Umsatzes von ging beispielsweise im Jahr 2019 an dritte, von Apple unabhängige Unternehmen.
Digitale Ökosysteme lassen in Deutschland auf sich warten
Apple ist natürlich ein extremes Beispiel, schließlich kann nicht jedes Unternehmen der nächste Apple-Konzern und nicht jeder CEO der nächste Steve Jobs sein. Gerade auf dem deutschen Markt verfolgen viele Unternehmen noch eine traditionelle Herangehensweise.
Aber für unsere Zwecke kann die Automobilindustrie mit ihrem breit gefächerten Netzwerk aus Herstellern, Händlern, Zulieferern und Dienstleistern als Beispiel dienen. Jenseits des Autos sind Banken, Versicherer und Organisationen wie etwa der ADAC mit verschiedensten Service-Dienstleistungen am Netzwerk beteiligt. Sie zählen ebenfalls zu diesem Ökosystem.
Dabei ist die harmonische und nahtlose Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure mittlerweile ganz selbstverständlich. Was im analogen Beispiel gut funktioniert, ist auf digitaler Ebene in Deutschland bisher wenig etabliert. Gleichzeitig häufen sich die Berichterstattungen zur voranschreitenden Digitalisierung und der Druck steigt, innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln und umzusetzen. Mit der richtigen Strategie könnte Deutschland seine Stellung als Country of Things sinnvoll nutzen. Aktuell ist, auch wenn es häufig anders erscheinen mag, ein großer Teil unserer Prozesse und Strukturen wenig digital.
Dabei gibt es viele Beispiele für erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle – beispielsweise Airbnb als innovative Lösung für Reiseunterkünfte oder Uber für den einfachen Personentransport. Diese Modelle nutzen ein Geflecht aus verschiedenen Akteuren, die auf einer einzigen Plattform zusammengeführt werden. Eine solche Vorgehensweise lässt sich auf viele andere Branchen ähnlich anwenden.
Für die deutschen Maschinenbauer und Elektriker eignet sie sich jedoch weniger. Neben fehlenden Ressourcen und Know-how stehen die Verantwortlichen dem immer präsenter werdenden Problem des Datenschutzes gegenüber. Bei zunehmenden Hacker-Angriffen und deren medialer Präsenz überlegen Unternehmen es sich lieber zweimal, ob sie wirklich auf ein digitales Ökosystem setzen wollen.
„Es ist wichtig, Daten als Tauschmittel für den Aufbau von potenziellen Ökosystemen zu betrachten – insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau – statt die eigenen Informationen wie einen geheimen Schatz zu hüten. Unternehmen, die dazu in der Lage sind, werfen ihre Daten in die Waagschale, profitieren von den Informationen ihrer Konkurrenten und helfen sich so gegenseitig beim Wachstum.“
Marcel Möstel, tresmo
Daten als Währung für Coopetition
Gegen diese Hemmungen hilft vielleicht ein Perspektivwechsel. Es ist wichtig, Daten als Tauschmittel für den Aufbau von potenziellen Ökosystemen zu betrachten – insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau – statt die eigenen Informationen wie einen geheimen Schatz zu hüten.
Unternehmen, die dazu in der Lage sind, werfen ihre Daten in die Waagschale, profitieren von den Informationen ihrer Konkurrenten und helfen sich so gegenseitig beim Wachstum. Dieses Prinzip nennt sich Coopetition (ein Kofferwort aus Cooperation und Competition), also die Zusammenarbeit unter Wettbewerbern, und ermöglicht den Aufbau von heute noch unbekannten Ökosystemen.
Enge Zusammenarbeit mit dem Konkurrenten, bei der man sich auch noch von diesem in die Karten schauen lässt – das klingt erstmal eigenartig. Es wurde von Amazon jedoch schon längst erfolgreich umgesetzt. Zu Beginn ergänzte Amazon seine eigenen Innovationen mit Angeboten von Drittanbietern, doch bald darauf begannen unabhängige Entwicklerteams, mit den Technologien ganz neue Dinge zu schaffen und legten damit den Grundstein für die heutige Dominanz von AWS.
In der Tat kann unsere heimische Industrie von diesem Beispiel viel lernen, wenn es um digitale Ökosysteme geht. Dafür müssten Unternehmen die Daten von physischen Geräten, Anlagen und Maschinen breit verfügbar machen – und das möglichst live.
Die heutigen IIoT- (Industrial Internet of Things) und IoT-Technologien (Internet of Things) sind der perfekte Ansatzpunkt, um Geräte- und Maschinendaten in Echtzeit zu vernetzen – eine der wichtigsten technischen Voraussetzungen für ein erfolgreiches digitales Ökosystem für die deutsche Industrie.
Schließlich ist das Ziel in Zukunft die Kunden- und Stammdaten aus CRM- (Customer Relationship Management) und ERP-Systemen (Enterprise Resource Planning) mit denen des IoT zusammenzuführen und so einen tief- und übergreifenden Einblick in die Unternehmens- und Kundenprozesse zu ermöglichen.
Dank moderner Cloud-Systeme und deren Leistungsfähigkeit ist der Verlust der Kontrolle nicht mehr das drängendste Problem. Heute geht es weniger um Datensicherheit und mehr um Datensouveränität. Damit sie optimal zusammenarbeiten können, sollten Unternehmen sich überlegen, wie andere von den gemeinsam genutzten Daten in einem Ökosystem profitieren können, ohne ihre Eigenständigkeit zu gefährden. Schließlich besteht ansonsten wenig Grund, sich einem Ökosystem anzuschließen.
Early Adopter sein lohnt sich
Die Entwicklung digitaler Produkte und Services ist der erste Schritt in Richtung digitales Ökosystem. Doch je spezieller die Branche oder der Anwendungsfall ist, umso schwieriger ist es, ein passendes digitales Angebot aufzubauen. Um dem Endnutzer einen monetarisierbaren Vorteil zu bieten, muss das Ökosystem smarte, sinnvolle Analysen erlauben.
Ein anschauliches Beispiel sind Komponentenhersteller in vielschichtigen Umgebungen von Baustellen über Häfen bis hin zu Produktionsstätten. Die Auflistung der zehn verschiedenen Services zu jeder einzelnen Hydraulikkomponente ist nicht die zentrale Information, aus der Unternehmen im Ökosystem einen Gewinn ziehen können, sondern das Erkennen von Synergien und Optimierungspotential in den Lieferketten.
Es klingt zwar furchterregend, kann aber durchaus sinnvoll sein, als Unternehmen den Sprung ins kalte Wasser zu wagen und als erster IoT-Daten für andere verfügbar zu machen. Kurzfristig mag es vielleicht wenig oder keine Möglichkeiten zur Monetarisierung geben, aber es lohnt sich langfristig. Die Abgrenzung von der Konkurrenz wird diese Kosten zumindest wieder wettmachen und sobald andere Hersteller nachziehen, besteht die reale Chance, schrittweise in ein digitales Ökosystem hineinzuwachsen und neue Wertschöpfungsketten aufzubauen.
Fazit
Die Perspektive, dass die eigenen Daten eine potenzielle Währung sind und mit anderen Akteuren im gleichen Ökosystem ausgetauscht werden können, kann spannende neue Möglichkeiten bieten. Im Gegensatz zu traditionellen Ökosystemen haben digitale Ökosysteme für fast alle Unternehmen ein weitaus größeres Wachstumspotenzial und lassen sich online nahezu unendlich erweitern.
Gerade, was die Kommerzialisierung digitaler Initiativen angeht, tut sich unsere deutsche Industrie derzeit allerdings noch recht schwer. Stärker als mögliche technologische Probleme belasten uns sozioökonomische Herausforderungen. Sind unsere Unternehmen dazu in der Lage, diese zu überwinden, steht dem Country of Things und sinnvoll vernetzten, digitalen Ökosystemen nichts mehr im Wege.
Über den Autor:
Als Head of Solutions von tresmo ist Marcel Möstel verantwortlich für das Lösungsportfolio und dessen stetige Weiterentwicklung sowie die Kundenberatung rund um innovative IoT-, Cloud- und App-Lösungen. In den vergangenen fünf Jahren entwickelte er sich bei tresmo vom Engineer über Product Owner bis hin zur aktuellen Leitungsfunktion. Als Head of Solutions blickt er insbesondere auf die strategischen Themen und treibt diese aktiv voran. Vor tresmo wirkte Marcel Möstel im Design bei TERRITORY webguerillas. Sein Studium im Bereich Interaktive Medien absolvierte er an der Hochschule Augsburg.