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Object-Centric Process Mining definiert Process Mining neu
Object-Centric Process Mining (OCPM) überwindet viele der bisherigen Hindernisse des klassischen Process Mining, indem es die Ereignisprotokolle neu definiert.
Das Thema Process Mining bestimmt seit über 20 Jahren meine Forschungen. Anfangs ging es darum, die Kluft zwischen Data- und Process-Science zu überwinden, um einen wahren Blick auf Prozesse zu gewinnen. Entstanden ist daraus die Process-Mining-Technologie, die mittlerweile von den meisten großen Unternehmen, genutzt wird.
Sie decken damit Ineffizienzen in ihren Abläufen auf, um sie dann datenbasiert und automatisiert zu optimieren. Die Firmen realisieren mit Process Mining enorme Einsparungen – sowohl monetärer Art als auch hinsichtlich ihrer CO2-Emissionen. Trotz all dieser positiven Entwicklungen kämpft das klassische Process Mining mit einem zentralen Problem: Es gibt die Realität nur unvollständig wieder. Object-Centric Process Mining (OCPM) überwindet viele der bisherigen Hemmnisse, indem es die Datengrundlage für Process Mining – die Event-Logs – neu definiert.
Interaktionen zwischen Objekten
Nehmen wir als Beispiel einen einfachen Bestellprozess: Ein Kunde gibt eine Bestellung auf, die aus vier einzelnen Produkten besteht. Beim Unternehmen wird dafür eine Auftragsnummer erstellt. Von den vier Produkten ist nur eines auf Lager. Das kann sofort geliefert werden. Die anderen drei Teile müssen zuerst produziert werden und sind somit zu einem späteren Zeitpunkt lieferbar. Erst wenn der Auftrag vollständig abgearbeitet wurde, kann die gesamte Bestellung in Rechnung gestellt werden.
Im klassischen Process Mining verfolgt man jedes einzelne, der am gerade skizzierten Bestellprozess beteiligten Objekte – Sales Orders, Shipments, Productions Orders und so weiter – einzeln und beachtet den Kontext des Gesamtbestellprozesses nicht. Und obwohl die Praxis zeigt, dass sich auch damit schon deutliche Prozessverbesserungen realisieren lassen, ist die Prozessrealität, wie das Beispiel zeigt, eine andere: Objekttypen bedingen sich gegenseitig. Beispielsweise führt eine Verspätung bei der Produktion auch zu einer Verzögerung bei der Rechnungsstellung.
Datenextraktion auf Case-Basis
Um die neue Herangehensweise des OCPM zu verstehen, müssen wir zunächst einmal kurz zusammenfassen, wie Event-Logs im Rahmen von Process Mining bisher funktionierten:
Man extrahiert Event-Daten, die wiedergeben, dass etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt passiert ist, aus zugrunde liegenden IT-Systemen. Diese sind typischerweise ERP-, CRM- oder Supply-Chain-Management-Systeme. Für Process Mining, also das Darstellen von Prozessabläufen und ihre Verbesserung, werden Event-Daten benötigt, die mindestens eine Case-ID, einen Activity Name und einen Timestamp umfassen. Im klassischen Process Mining wird für jeden Objekttyp ein eigenes Event-Log kreiert und dieses dann analysiert.
Die Vielzahl an Daten in den Informationstechnologiesystemen liefern in der Praxis oftmals unzählige Tabellen, was die Datenextraktion aufwändig macht. Möchte man dann ein und denselben Prozess aus einem anderen Blickwinkel betrachten, zum Beispiel statt der Sales Orders die Production Orders ansehen, oder ändert man die Fragestellung, muss man den Aufwand der Datenextraktion erneut betreiben. Die Konsequenz daraus ist eine unflexible und zeitaufwändige Art, Prozesse zu betrachten. Dies führt dazu, dass in der Praxis teilweise bis zu 80 Prozent der Zeit in die Extraktion von Daten investiert werden muss, während nur rund 20 Prozent der Zeit in die eigentliche Analyse der Daten fließen, um am Ende auch sinnvolle Ergebnisse zu erhalten.
Von flachen Daten und Modellen zu einer 3D-Abbildung
Alles in allem heißt das: Die Daten und darauf basierenden Prozessmodelle sind im klassischen Process Mining bildlich gesprochen flach, weil sie nur ein Objekt isoliert abbilden. Da sich Objekte aber gegenseitig beeinflussen, muss man mehrere Objekte gleichzeitig analysieren, um die Realität besser abzudecken und Prozesszusammenhänge besser zu verstehen – also die Betrachtung von zwei- auf dreidimensional erweitern. Auf Basis von zwei Jahrzehnten Grundlagenforschung ist dieses Problem nun erstmals auch in der Praxis überwunden.
„ Object-Centric Process Mining unterstützt Unternehmen, Prozessabhängigkeiten in einem einzigen Modell zu sehen und macht die Extraktion und das Speichern der Daten effizienter.“
Wil van der Aalst, Celonis
OCPM definiert Events nicht mehr Case-bezogen, sondern verwendet ein objektzentriertes Event-Log. Damit wird es möglich ein Event, im oben genannten Beispiel den Gesamtbestellprozess, mit mehreren Objekten, wie Sales Order, Shipment und Production Order, zu verknüpfen. Vorher war es nur möglich, entweder der Sales Order, dem Shipment oder der Production Order zu folgen. Jetzt kann der Benutzer den Gesamtprozess aus jedem beliebigen Blickwinkel betrachten. Denn im Unterschied zu klassischen Process Mining Event-Logs erfassen Object-Centric Event-Logs die Eins-zu-Viele- und Viele-zu-Viele-Beziehungen zwischen mehreren Objekten.
Object-Centric Process Mining unterstützt somit Unternehmen, Prozessabhängigkeiten in einem einzigen Modell zu sehen und macht die Extraktion und das Speichern der Daten effizienter. Damit wird Process Mining ein noch wichtigeres und wirkungsvolles Instrument, um zentrale Unternehmensentscheidungen besser zu steuern. Erste Unternehmen nutzen diese Funktionalitäten bereits. Die Ergebnisse sind vielversprechend.
Über den Autor:
Wil van der Aalst ist Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Process and Data Science an der RWTH Aachen und Chief Scientist bei Celonis. Er gilt als der Erfinder des Process Minings. Als Vordenker, Autor und Redner auf den Gebieten Data Science, Geschäftsprozessmanagement und Process Mining ist er einer der meistzitierten Informatiker der Welt.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.