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Lieferkettenrisiken: welche Rolle Versicherer hierbei spielen
Störungen der Lieferkette können große finanzielle Schäden verursachen. Unternehmen müssen sich entsprechend absichern. Wie Versicherungen auf die Bedrohungen reagieren.
Der reibungslose Ablauf in Lieferketten verspricht Unternehmen nicht nur zufriedene Kunden, sondern steigert auch den Umsatz.
Laut Allianz Risk Barometer 2024 sind Betriebsunterbrechungen weltweit auf Platz zwei der geschäftlichen Risiken. Insbesondere Störungen in Lieferketten können immense finanzielle Schäden verursachen.
Die Komplexität der Lieferkettenrisiken stellt Versicherer vor große Herausforderungen. Doch die wachsende Transparenz in den Lieferketten, der Zugang zu granularen Lieferkettendaten, das Aufkommen von digitalen Zwillingen und Fortschritte in der Risikomodellierung öffnen neue Möglichkeiten für die Versicherung von Risiken entlang der Lieferketten. Dies ermöglicht Versicherern nicht nur, potenziellen Risiken ganzheitlich zu begegnen, sondern auch ihre Kunden besser abzusichern, ohne die eigene Profitabilität zu vernachlässigen.
Die Wechselwirkung zwischen digitalen und physischen Lieferketten
Unternehmen quer durch alle Branchen verlassen sich sowohl auf physische als auch auf digitale Lieferketten. Um Geschäftsrisiken optimal einschätzen zu können, sollten Versicherer berücksichtigen, dass Unterbrechungen in physischen und digitalen Lieferketten sich wechselseitig beeinflussen. Digitale Lieferketten sind wachsenden Risiken durch Cyberangriffe ausgesetzt, was bei Unternehmensverantwortlichen zunehmende Besorgnis verursacht.
Wird die Rolle der digitalen Lieferketten vernachlässigt, so hinterlässt dies eine erhebliche Lücke im Risikoverständnis. Besonders Unternehmen der Automobilbranche sind von Cyberangriffen entlang der Produktions- und Lieferketten betroffen. Ein Beispiel: Anfang des Jahres wurde die Hyundai Motor Europe mit Sitz in Deutschland Opfer eines Hackerangriffs.
Lieferkettenrisiken modellieren mit Data Analytics
Predictive Analytics hat sich für Unternehmen in der Versicherungsbranche als eine entscheidende und wichtige Methode herausgestellt. Sie ermöglicht es Versicherern, zukünftige Ereignisse vorherzusehen, Geschäftsprozesse zu optimieren und somit die Rentabilität zu steigern. Hierbei ist es wichtig, dass Versicherer eine klare und fokussierte Datenstrategie entwickeln, die den Anforderungen von Predictive Analystics gerecht wird. Flexibler Zugriff auf neue Daten und effiziente Extraktion sind grundlegend für prädiktive Analysen. Herausfordernd ist jedoch, dass bei dieser Art der Analyse historische Daten aus bis zu zehn Jahren benötigt werden.
Innovative Technologien wie digitale Zwillinge, IoT-Geräte, vernetzte Sensoren, Robotik und künstliche Intelligenz (KI) haben das gesamte Lieferkettenmanagement grundlegend verändert. Sie liefern die notwendigen Daten, mit deren Hilfe sich granulare Risikomodelle für diverse Lieferkettenrisiken modellieren lassen.
Digitale Zwillinge in der Lieferkette sind virtuelle Nachbildungen oder Simulationen von physischen Anlagen, Prozessen oder Systemen innerhalb einer Lieferkette. Diese virtuellen Darstellungen werden mit Unterstützung von Daten erstellt, die von realen Sensoren und Geräten gesammelt werden. Diese Daten ermöglichen es Unternehmen, ihre Lieferkettenaktivitäten in einer digitalen Umgebung in Echtzeit zu überwachen, zu analysieren und zu optimieren. Auf diese Weise lassen sich potenzielle Probleme vorhersehen und mögliche Szenarien testen, so dass Unternehmen datengestützte Entscheidungen treffen können. Dies führt zu verringerten Risiken und höherer Effizienz.
Zu den Datenquellen, die für die Analyse der Lieferketten verwendet werden, gehören üblicherweise die Anwendung und Systeme für Beschaffung, Bestandsmanagement, Produktdesign und Herstellung, Auftragsabwicklung, Lagerverwaltung und Logistik. Hinzu kommen Kundendaten aus Vertriebs- und Marketing-Tools wie ERP und CRM. Hilfreich können außerdem Daten von Drittanbietern und anderen Partnern sein
Lieferketten versichern – ein Rahmenwerk für eine fragmentierte Lösung schaffen
Da bereits existierende Versicherungsprodukte gegen Lieferkettenrisiken fragmentiert sind, decken sie jeweils nur spezifische Risiken ab, wodurch Deckungslücken entstehen. Spezielle Sach- und Spezialversicherungen decken Elemente des lieferbezogenen Risikos ab, wobei jedoch jede Police unabhängig voneinander gezeichnet wird. In der Vergangenheit wurde eine geringe Anzahl spezialisierter Versicherungslösungen entwickelt. Die meisten relevanten Versicherungsprodukte fokussierten sich jedoch auf Sachschäden, wie zum Beispiel Unterbrechungen durch ein Feuer oder Naturgefahren wie Überschwemmung oder Erdbeben.
Im Rahmen der Sachversicherung kommt die Betriebsunterbrechung für Einkommensverluste aufgrund von Sachschäden am Eigentum des Versicherten auf. Zudem kann eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen werden, die den Versicherten gegen Einkommensverluste infolge des Ausfalls eines wichtigen Lieferanten oder Kunden schützt. Darüber hinaus ist eine eigenständige Cyberversicherung wichtig, um Betriebsunterbrechungen zu minimieren und Lieferketten abzusichern.
„ Wenn Versicherer die Lieferkettenrisiken exakter modellieren, lassen sich sowohl die Schutzlücke als auch die Risiken für Lieferunterbrechungen verringern.“
René Schoenauer, Guidewire
Die entscheidende Frage ist nun: Wie können unterschiedliche Versicherer die Risiken besser modellieren und Unternehmen bestmöglich absichern? Zuallererst ist es wichtig, dass Versicherer ein gemeinsames Framework schaffen, das sowohl digitale als auch physische Lieferketten betrachtet. Die Underwriter der jeweiligen Sparten für Sach- und Cyberversicherungen sollten im regelmäßigen Austausch stehen. Auf diese Weise können sie gemeinsame Aspekte zwischen den unterschiedlichen Risikoarten identifizieren und dadurch ein umfassenderes Verständnis für die Risiken erlangen.
Danach sind diese Schritte empfehlenswert, um die Risiken holistisch abzubilden:
- kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen allen Versicherungssparten
- Aufbau einer zentralen Datenbank über Beziehungen und Abhängigkeiten in der Lieferkette in allen betroffenen Versicherungssparten
- Entwicklung eines Risikomodells, um Erkenntnisse zur Vorhersage des Risikos einer Geschäftsunterbrechung zu erlangen
- Aufklärung von Underwritern über das Potenzial von Richtlinien im Falle von Unterbrechungen in Lieferketten
- Identifikation von geeigneten Versicherungsprodukten und -bedingungen, um Schutzlücken zu schließen
Wenn Versicherer die Lieferkettenrisiken exakter modellieren, lassen sich sowohl die Schutzlücke als auch die Risiken für Lieferunterbrechungen verringern. Auch wenn jeder Versicherer einen anderen Weg einschlägt und die Branche einige Zeit brauchen wird, das Lieferkettenrisiko ganzheitlich anzugehen – die Kundennachfrage wird in Zukunft steigen. Mit zunehmend besserem Risikoverständnis können Versicherer bestehende Produkte schrittweise verbessern und neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Die Rolle der Versicherer geht dabei über die bloße Risikominderung hinaus, sie umfasst auch die wirksame Steuerung des Risikotransfers.
Angesichts der zunehmenden Besorgnis über die Anfälligkeit der globalen Lieferketten besteht ein klarer Bedarf an einem umfassenden Verständnis dieses komplexen Ökosystems. Die Versicherungsbranche mit ihren unterschiedlichen Perspektiven auf das Lieferkettenrisiko ist gut aufgestellt, um Veränderungen anzustoßen, die Lieferketten resilienter machen.
Über den Autor:
René Schoenauer ist Director Produkt Marketing EMEA bei Guidewire.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.