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Human-centered Design: so wird Software barrierefrei
Human-centered Design setzt sich immer mehr durch. Leider ist die Entwicklung barrierefreier Software noch kein Selbstläufer. Das kann sich ändern.
Die Softwareentwicklung hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, ein Umstand, mit dem auch eine Verschiebung der Projektprioritäten einherging: Programmierer müssen heute Anwendungen zwar für mehr Kanäle entwickeln, aber Technologien wie Digital-Experience-Plattformen, die nach dem Baukastenprinzip funktionieren, Cloud Computing, Microservices-Architekturen und Container helfen ihnen bei der Bewältigung dieser Aufgaben. Da auf diese Weise immer mehr robuste Anwendungen bereitgestellt werden können, verlässt sich auch eine entsprechend steigende Anzahl von Nutzern auf diese technologischen Errungenschaften.
Diese heute notwendigen und zunehmend unvermeidlich werdenden Interaktionen mit intelligenten Geräten sollten aus diesem Grund für alle so kohärent und konsistent wie möglich ablaufen. Leider gibt es immer noch eine Reihe von Problemen, angefangen bei nicht zugänglichen Benutzeroberflächen, die es körperlich eingeschränkten Menschen schwer machen, Software zu nutzen und innerhalb von PC-Anwendungen und Smartphone-Apps zu navigieren.
Der Mensch im Fokus
Ein Ansatz, der sich immer weiter durchsetzt, um diese Probleme zu lösen, ist das sogenannte Human-centered Software Design. Entwickler stellen dabei die Endnutzer in den Fokus: So bieten Anwendungen, die nach dieser Methode erstellt wurden, etwa eine nahtlose und unkomplizierte Navigation, auch für Menschen mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen und unabhängig von demografischen oder persönlichen Faktoren sowie kulturellen Hintergründen.
Digitale Angebote sollten aber nicht nur zugänglich und barrierefrei nutzbar sein, sondern auch über alle Plattformen und Berührungspunkte (digitale Touchpoints) konsistent und responsiv sein. Bestenfalls fühlt sich der Besuch einer Webseite oder die Nutzung einer App menschlich an: Persönliche, bei Stammnutzern gar personalisierte, Anrede und Funktions- sowie Angebotsauswahl sind nur zwei der Beispiele, wie Betreiber ihre User abholen können.
Wie künstliche Intelligenz hilft
Künstliche Intelligenz (KI), insbesondere generative KI (GenAI), hat durch Tools wie ChatGPT, Midjourney oder Copilot einen großen Demokratisierungsprozess durchlaufen und sind heute in der Mitte der Bevölkerung angekommen. Für Unternehmen sind sie ebenfalls vorteilhaft, denn sie können dabei helfen, die Ansprüche der Nutzer an ihre digitalen Angebote zu erfüllen. Allein in Sachen Personalisierung bietet diese Technologie ein großes Potenzial. Doch auch eine schnellere Time-to-Market unterstützen KI und GenAI, zum Beispiel durch die automatisierte Inhaltsgenerierung. Zudem entlasten Features wie KI-gestützte Workflow-Optimierung und Codeerstellung das Personal.
Im Hinblick auf inklusive und barrierefreie digitale Angebote ist KI ebenfalls ein Gamechanger: GenAI-Assistenten könnten gesprochene oder textuelle Inhalte für gehörlose oder schwerhörige Menschen automatisch in Gebärdensprache übersetzen. Für blinde Nutzer beschreibt etwa eine Computerstimme in Echtzeit, was auf den Bildern einer Webseite oder einer App zu erkennen ist. KI-basierte Computer-Vision-Technologie kann sehbehinderten Menschen individualisiert helfen, digitale Angebote bestmöglich zu nutzen, indem sie automatisiert Kontraste anpasst oder für Farbenblinde die Farbgestaltung nutzergerecht umgestaltet.
Regeln und Bedürfnisse
Menschenzentriertes Softwaredesign sollte jedem Webseiten- und App-Betreiber schon allein aus Gründen der Usability und der somit größeren Zielgruppe für ihre Angebote wichtig sein. Studien haben zudem gezeigt, dass Unternehmen mit Angeboten ohne reibungslose Zugänglichkeit im Vergleich zur barrierefreien Konkurrenz Milliarden Euro an Umsatz einbüßen. Aber auch die Gesetzgeber haben mittlerweile in vielen Ländern weltweit klare Vorgaben zur Barrierefreiheit verabschiedet – in Deutschland gilt bereits seit 2002 die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV), die über die Jahrzehnte immer wieder angepasst und aktualisiert wurde.
Eine aktuelle Studie im Auftrag von Progress ergab, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen mittlerweile die Wichtigkeit von menschenzentriertem Softwaredesign durchaus erkannt haben. Infolgedessen wollen sie innerhalb der nächsten 12 bis 18 Monate in entsprechende Anwendungen investieren. Immerhin 76 Prozent glauben heute, dass barrierefreie Angebote mit dem Fokus auf den Anwender wichtiger sind, als das noch vor zwei Jahren der Fall war. Doch trotz der steigenden Bedeutung von Human-centered Software, tun sich viele Unternehmen mit der praktischen Umsetzung schwer – fast alle (97 Prozent) der Befragten gaben an, dass sie auf Hindernisse und Schwierigkeiten stießen. Vielen von ihnen fiel es beispielsweise schwer, den Ansprüchen der Nutzerinnen und Nutzer gerecht zu werden. Aber auch die Komplexität des Entwicklungsprozesses und ein Mangel an Agilität verursachten Probleme, genau wie die Frage, wie zu bestimmen sei, ob etwas wirklich human-centric ist.
Die richtige Strategie für die Umsetzung
Die Implementierung von Human-centered Software Design ist nicht mit dem Umlegen eines Schalters möglich und auch nicht nur eine Geldfrage. Vielmehr müssen Unternehmen eine sinnvolle und zielgerichtete Strategie für die Umsetzung entwickeln. Sie sollten daher eine passende Kompetenz und Sensibilität beim Personal etablieren, etwa durch Schulungen zum Thema Barrierefreiheit. Es gilt ein Inclusivity-first-Mindset aufzubauen, sodass bei neuen Entwicklungen die Zugänglichkeit und der menschliche Fokus auf natürliche Weise mitbedacht werden. Einmal verinnerlicht, wird ein solches Team leicht neue Software entwickeln können, die für alle einfach zu verwenden ist.
„Digitale Angebote sollten aber nicht nur zugänglich und barrierefrei nutzbar sein, sondern auch über alle Plattformen und Berührungspunkte (digitale Touchpoints) konsistent und responsiv sein.“
Sara Faatz, Progress
Für die Evaluierung, wie Human-centric-Apps aussehen sollten, gibt es mehrere Anhaltspunkte: Die Norm DIN EN ISO 9241-210 definiert beispielsweise ein gutes Set an Features, die barrierefreie Software enthalten sollte, um auch international allen bestehenden Standards zu entsprechen. Eine Übersicht über die Norm und den Entwicklungsprozess für menschenzentrierte Gestaltung hat der Berufsverband der Deutschen Usability und User Experience Professionales herausgegeben.
KI kann ebenfalls bereits vor dem eigentlichen Entwicklungsprozess und weit vor der Implementierung von GenAI-Funktionen in die fertige App ein wichtiges Asset für Unternehmen sein. Sie kann ihnen bereits vor der Planungsphase helfen, ihre Nutzer sowie deren Erfahrungen mit ihren Produkten besser zu verstehen. Richtig eingesetzt und konfiguriert, erkennt künstliche Intelligenz Präferenzen, Verhaltensmuster und Konvertierungsneigungen. Unternehmen können so ihre Zugänglichkeitsbemühungen feintunen und auf Basis dieser Daten später personalisierte Nutzererfahrungen bieten. Davon profitieren die User und Anbieter gleichermaßen.
Über die Autorin:
Sara Faatz ist Director, Technology Community Relations bei Progress.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.