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Fair, transparent, agil: Digitale Lieferketten im Aufwind
Die Bundesregierung diskutiert aktuell über ein Gesetz für faire Lieferketten. Einige unterstützen dies, andere fürchten mehr Bürokratie. Wie Echtzeitdaten und KI eine Lösung sind.
Viele Unternehmen versuchen inzwischen, ihre Wertschöpfung ethisch und sozial zu gestalten. Trotzdem kann es kann es in globalen Lieferketten zu Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen kommen.
Ein Beispiel ist die Nutzung seltener Erden, wie Lanthan, Neodym, Yttrium, Kobalt oder Niob, die in zukunftsweisenden Technologien wie Smartphones, Elektroautos, Windkraftanlagen und anderen Technologien verbaut werden.
Der Abbau der wertvollen Metalle ist hochkomplex und erfordert aufwendige Trennverfahren. Das belastet die Umwelt und kann auch die Gesundheit der Minenarbeiter beeinträchtigen. Um hier gegenzusteuern, hat die europäische Politik eine EU-Verordnung verabschiedet, die den Schutz von Menschenrechten und den Verzicht auf Kinderarbeit sicherstellen soll.
Nachhaltige Lieferketten werden künftig Pflicht
Auch Deutschland hat das Thema auf der Agenda: Noch setzt man hierzulande diesbezüglich zwar auf Freiwilligkeit. Das funktioniert allerdings nur, wenn eine kritische Masse der Unternehmen mitzieht. Aktuell achtet laut einer Umfrage der Bundesregierung jedoch erst ein Fünftel der teilnehmenden Unternehmen darauf, soziale und ökologische Mindeststandards entlang ihrer Lieferkette einzuhalten. Deshalb will der Bund faire Lieferketten gesetzlich verordnen.
Für die Befürworter des Gesetzes stehen unternehmerische Sorgfaltspflicht, Menschenrechte und Umweltschutz an vorderster Stelle. Die Zweifler befürchten hingegen, dass die akribische Einhaltung aller Regeln und die lückenlose Kontrolle von Vertragspartnern weder organisatorisch noch wirtschaftlich darstellbar sind.
Was dabei oft übersehen wird: Die benötigte Transparenz zur Kontrolle von Vertragspartnern ist nicht nur wichtig, um soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Transparente Lieferketten ermöglichen nämlich, auch in Krisen resilienter und agiler zu handeln – und tragen somit zur wirtschaftlichen Nachhaltigkeit bei. Was das konkret bedeutet, zeigte sich im Rahmen des ersten Lockdowns während der COVID-19-Pandemie, als es in vielen Branchen zu Lieferengpässen und -verzögerungen kam. Unternehmen, die in der Lage waren, schnell und flexibel zu handeln, waren eindeutig im Vorteil.
Digitale Prozesse sorgen für mehr Transparenz
Umso wichtiger ist es, die richtigen Weichen für eine konsequente Digitalisierung der unternehmensweiten Supply Chains jetzt zu stellen. Dadurch lassen sich nicht nur Lieferantenrisiken fundiert abschätzen, sondern ganze Wertschöpfungsketten nachhaltig und effizient gestalten. Einer PwC-Studie zufolge sind digitale Supply Chains agiler, flexibler und kostengünstiger. Außerdem tragen sie zur Liefertreue bei: 84 Prozent der „Digital Champions“ beliefern ihre Kunden laut PwC pünktlich. Bei den „digitalen Novizen“ schaffen das gerade einmal zwölf Prozent.
Allerdings sind laut einer Studie von SAP in Zusammenarbeit mit Oxford Economics die meisten Unternehmen vom Status eines Digital Champions weit entfernt: Denn für 90 Prozent der untersuchten Betriebe gibt es bei der Transformation des Beschaffungswesens noch einiges zu tun. Nur zehn Prozent gelten laut Studie als fortgeschritten. Diese zehn Prozent profitieren vor allem von einer höheren betrieblichen Effizienz, einer besseren Compliance sowie einer effektiveren Zusammenarbeit mit Lieferanten.
Durch Transparenz und Automatisierung stellen digitale Prozesse und innovative Beschaffungslösungen die Weichen für zukunftsfähige Wertschöpfungsketten. Einkaufs-, Vertrags- und Ausgabenanalyseprozesse für direkte und indirekte Materialien sowie Dienstleistungen lassen sich damit zentral steuern und Lieferantenbeziehungen effizient verwalten.
„Transparente Lieferketten dienen nicht nur der Nachhaltigkeit und der Einhaltung moralischer und ethischer Gesichtspunkte, sondern stärken die Resilienz der gesamten Wertschöpfungskette“
Jan Bungert, SAP
Zudem können moderne Technologien helfen, Beschaffungs- und Wertschöpfungsprozesse abzusichern: Beispielsweise können kurzfristig benötigte Teile über 3D-Drucker auf Knopfdruck produziert oder verschlüsselte Dokumente per Blockchain sicher ausgetauscht werden. Prognoselösungen auf Basis von künstlicher Intelligenz (KI) können mögliche Risiken entlang der Wertschöpfungskette aufdecken. Das hilft Verantwortlichen, rechtzeitig gegenzusteuern und sich um alternative Beschaffungswege zu kümmern.
Wertschöpfungsketten zukunftsfähig gestalten
Um ihre Wertschöpfungskette agiler und widerstandsfähiger zu gestalten, haben Unternehmen aber noch weitere Möglichkeiten:
- Nicht bei der Qualität sparen: Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass hochwertige Dienstleistungen und Services ihren Preis haben. Statt immer weiter an der Kostenschraube zu drehen, sollten Unternehmen bei der Wahl ihrer Zulieferer deshalb auf Qualität, Zuverlässigkeit sowie die Einhaltung ökologischer und sozialer Standards achten.
- Divers denken: Single-Source-Beschaffung verringern vielleicht den organisatorischen Aufwand – führen aber zu einer Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter. Multiple Sourcing sorgt dagegen für mehr Flexibilität bei der Beschaffung und reduziert zugleich Ausfallrisiken.
- Lokaler aufstellen: Keine Frage, zurückdrehen will und kann die Globalisierung niemand. Allerdings hat die COVID-19-Krise gezeigt, wie wichtig es ist, auch lokale und regionale Lieferantenbeziehungen aufzubauen. Kurze und flexible Lieferwege verbessern die Reaktionsfähigkeit, Schwankungen und Störungen in der Lieferkette lassen sich besser abfedern.
- Expertenwissen nutzen: Fest steht, Unternehmen, die ihre Prozesse digitalisieren und damit automatisieren, sind im Vorteil. Passende Spezialisten helfen, innovative Technologien wie Blockchain oder 3D-Drucker im Unternehmen erfolgreich einzuführen und globale Lieferketten nachhaltig und wettbewerbsfähig zu machen.
Transparente Lieferketten dienen nicht nur der Nachhaltigkeit und der Einhaltung moralischer und ethischer Gesichtspunkte, sondern stärken die Resilienz der gesamten Wertschöpfungskette und ermöglichen schnelles, informiertes Handeln.
Über den Autor:
Jan Bungert ist Senior Vice President für SAP Intelligent Spend Management Solutions bei SAP.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.