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Digitalisierung der Verwaltung: Weitab vom Failed State!
Bei der Digitalisierung der Verwaltung sei Deutschland überspitzt gesagt ein Failed State, so Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. Christian Korff von Cisco sieht das nicht so.
Deutschland kann Digitalisierung. Und auch wenn es noch viel zu tun gibt, brauchen wir uns nicht selbst schlecht zu reden. Doch wenn es um die Digitalisierung der Verwaltung geht, bestimmt in den letzten Monaten der Begriff Failed State (gescheiterter Staat) die öffentliche Debatte. Deutschland, ein Staat, der seine grundlegenden digitalen Aufgaben nicht erfüllen kann? Nein.
Solche markanten Begriffe sind kontraproduktiv. Und wenn ich auf den aktuellen Projektstand in Ministerien und Behörden schaue, sehe ich das Digitalisierungsglas halb voll: 145 öffentliche Dienstleistungen sind bereits online verfügbar, 43 digitalpolitische Vorhaben der Bundesregierung wurden komplett umgesetzt, zwei Drittel sind in Arbeit. Luft nach oben gibt es immer, aber Digitalisierung in Deutschland ist vor allem eine Haltungsfrage.
Also, was stimmt mich bei Deutschlands Digitalisierung konkret positiv? Da sind schon mal die vielen digitalen Alltagsdinge, die uns ganz natürlich vorkommen, selbst wenn sie erst ein paar Monate oder Jahre alt sind. Statt uns an einer Supermarktkasse im Schlangestehen zu üben, checken wir binnen Minuten digital aus. Digitale Bezahlmethoden funktionieren in der Breite. FinTechs, wie beispielsweise N26, zeigen: Wir können auch digitales Banking. Und die Passkontrolle nach einer Urlaubsreise wird heute zum digitalen Einreiseerlebnis.
Da sind aber auch die größeren Digitalvorhaben, die Deutschland meistert. Zum Beispiel das Deutschlandticket, das die Konvergenz im öffentlichen Personennahverkehr treibt. Oder der viel gescholtene Breitbandausbau, der endlich voran geht. Europaweit liegen wir inzwischen auf Platz 4. Laut Cisco Broadband Survey 2023 gehört schnelles Internet für fast 80 Prozent der Deutschen bereits zur kritischen Infrastruktur. Eine Analyse von Bitkom zeigt, dass wir hinsichtlich Konnektivität und Telekommunikationsinfrastruktur deutlich aufgeholt haben. Gerade beim Ausbau von Wi-Fi 6 reiben sich meine amerikanischen Cisco-Kolleginnen und Kollegen die Augen, wie schnell wir in Deutschland sind. Das gleiche gilt für die Automatisierung von Rechenzentren.
Beim Thema Erfindergeist müssen wir uns ebenfalls nicht verstecken, im Gegenteil: 98 Prozent der Unternehmen hierzulande bezeichnen sich als innovativ. Ein Grund: Sie führen im weltweiten Vergleich sehr schnell neue Lösungen ein. Nur 13,5 Monate dauert es hierzulande von der Innovationsidee bis zur Implementierung, in Frankreich und Großbritannien jeweils mindestens 15. So viel zum Deutschlandtempo.
„Was mich jedoch positiv stimmt: In Politik und Verwaltung nimmt Digitalisierung eine exponierte Stellung ein und wird aktiv umgesetzt.“
Christian Korff, Cisco Deutschland
Was uns allerdings bremst, ist eine inhärente Furcht vor Veränderung – noch bevor wir Digitalisierung wagen. Selbst auf der leeren Wand haben wir gelernt, Menetekel zu sehen. Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Paradebeispiel hierfür. Ein Jahr generative KI und die Furcht vor dem Verlust von Arbeitsplätzen übernimmt die Debatte. Dabei wird gerade KI dabei helfen, Produktivitätspotenziale zu erschließen und letztlich dem Fachkräftemangel gegenzusteuern.
Digitalisierung braucht Impulse
Was mich jedoch positiv stimmt: In Politik und Verwaltung nimmt Digitalisierung eine exponierte Stellung ein und wird aktiv umgesetzt. Die Bundesagentur für Arbeit bietet beispielsweise seit Ende 2022 alle vom Onlinezugangsgesetz geforderten 67 E-Services an. Digitale Verwaltung geht also. Egal ob Datenstrategie oder Schub für die digitale Verwaltung: Digitale Themen sind elementarer Teil der Modernisierung von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
So auch bei Deutschlands Investitionen für die Ansiedlung von Chipfabriken. Die neuen Produktionsanlagen von Intel und TSMC in Magdeburg und Dresden können dem Digitalstandort Deutschland langfristig Rückenwind geben. Das Thema Chip-Subventionen ist ein gutes Beispiel, weil es zeigt, dass wir einige Digitalthemen noch weiterdenken und entschiedener angehen sollten.
Zielgerichtete Förderung der digitalen Infrastruktur
Dies gilt insbesondere auch für das Thema künstliche Intelligenz. Wenn sich Deutschland bei den führenden KI-Nationen einreihen möchte, müssen wir die Zukunftsbremse lösen. Deutschland hinkt in puncto KI-Reifegrad schon jetzt hinterher. Nur 7 Prozent der deutschen Unternehmen sind wirklich gut auf KI vorbereitet, wie der Cisco AI Readiness Index zeigt. Problemkind ist dabei die KI-Infrastruktur: Hier sind ebenfalls nur 7 Prozent aller Unternehmen hierzulande zukunftssicher aufgestellt. Der Ausbau der KI-Infrastruktur ist daher essenziell – in Unternehmen und in der öffentlichen Hand. Gerade KMUs benötigen KI-gerechte Rechenzentrumskapazitäten, auf die sie zugreifen können. Für all dies ist ein Fond für den Aufbau digitaler Infrastrukturen nötig, der bestenfalls sogar EU-weit greift.
Echte digitale Wertschöpfung in Deutschland
Die Förderung von Großprojekten ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, doch sie müssen Teil eines umfassenderen Plans sein. Wir sollten nicht in einzelne Teilbereiche der digitalen Produktionskette investieren, sondern gezielt digitale Wertschöpfung und Ökosysteme in Deutschland fördern. Silicon Saxony geht diesen Weg. Gefordert sind offene Türen für Öffentlich-Private Partnerschaften und Mechanismen, um Hochtechnologien und Know-how geschäftssicher nach Deutschland zu bringen. Eine solchermaßen aktiv geplante Förderpolitik – und das hat die Vergangenheit gelehrt – benötigt Kontinuität. Trotz Haushaltsloch müssen zugesagte Mittel bestätigt und verwendet werden – sowohl in Magdeburg als auch im Silicon Saxony. Ein Tritt auf die Investitionsbremse wäre fatal, gerade wenn sich Deutschland – wie bei KI – bereits auf dem Beschleunigungsstreifen befindet.
Effiziente Einwanderung für digitale Fachkräfte
Eine erfolgreiche Digitalisierung braucht Experten – auch und gerade aus dem Ausland. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist daher ein guter erster Schritt. Entscheidend ist, es den Fachkräften leichter zu machen in Deutschland Fuß zu fassen. Daher sollten Angebote hinzukommen, die den Start am neuen Arbeits- und Wohnort in Deutschland unterstützen. Das reicht von der Wohnungssuche über die Integration der Familie und Sprachkurse bis zu Welcome-Centern als Lotsen im deutschen Behörden-Dschungel.
Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen
Eine Möglichkeit aktuelle Verwaltungsprozesse massiv zu beschleunigen ist die vollständige Digitalisierung bestehender Genehmigungs- und Berichtsverfahren. Eine komplett digitalisierte und interoperable Prozesskette ermöglicht enorme Automatisierungspotenziale. Das führt wiederum zu deutlich schnelleren Verfahren und gibt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung Kapazität, sich auf die individuellen Themen zu konzentrieren. Ich bin mir sicher: Das, was im Bereich der Bürgerservices bei der Bundesagentur für Arbeit möglich ist, können wir auch bei Genehmigungsverfahren und in der Verwaltungsmodernisierung insgesamt schaffen. Deutschlandtempo geht nur durch Digitalisierung.
Fazit
Es kommt darauf an, digitale Staatsmodernisierung mit einer guten Mischung aus Erfindergeist, Digital-First-Einstellung und einer gesunden Portion Pragmatismus anzugehen. Eine effiziente digitale Verwaltung ist ein wichtiger Dienst an unserer Gesellschaft, keine Kostenstelle. Diese Funktion kann sie allerdings nur dann ausfüllen, wenn es gelingt, Digitalisierung positiv erfahrbar zu gestalten. Digitale Bürgerdienste werden beispielsweise dann zu einer substanziellen Entlastung der Verwaltung beitragen, wenn sie besonders einfach aufgesetzt werden – ohne den Duktus eines Verwaltungsaktes. Eine solchermaßen akzeptierte und effizient gestaltete digitale Verwaltung wird unsere globale Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand in Deutschland fördern. Darauf hoffe ich für das Jahr 2024.
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