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Die Halbleiterversorgung Europas wird kritisch bleiben

Europas Chip-Industrie soll mit 3,3 Milliarden Euro zu einem Ökosystem digitaler Chancen erweitert werden. Doch in der globalen Staatenkonkurrenz sind diese Summen nur Peanuts.

Die Welt der Halbleiter mit Hochtechnologie-Fabriken, durchgeplanten Lieferketten vom Hersteller über Zulieferer, Verpackungsspezialisten, Logistiker bis zum Verkaufsshop ist seit mehreren Jahren, will man es nett ausdrücken, im Umbruch. Inzwischen funktioniert nichts mehr wie früher und wie früher wird es nie mehr werden. US-Präsident Biden drückt das kurz und knapp so aus: „Wir werden sicherstellen, dass die Lieferkette für Amerika in Amerika beginnt.“ Für alle anderen stellt sich damit die Sinnfrage, wie der Welthandel gestaltet werden kann, damit aus globalen Lieferketten keine Abhängigkeiten entstehen. Im ersten Teil unserer zweiteiligen Reihe zum Thema Halbleitermarkt haben wir bereits die Situation auf dem europäischen Markt umrissen.

Chinas Fab-Pläne werden zur Makulatur

Chinas Rolle als Werkbank der Welt wird von den USA massiv mit Handelsrestriktionen belegt. Der Ex-Handelspartner mutiert zum Systemrivalen. Als erstes beschneidet Amerika zusammen mit den Niederlanden und Japan das chinesische Bedürfnis nach modernster Wafer-Belichtungstechnik. Der Bezug der EUV-Maschinerie (Extreme Ultraviolett) von ASML wird unterbunden, danach auch der Einkauf und die Wartung der vorherigen Generationen, den DUV-Lithografie- und Immersionssystemen (Deep Ultraviolett). 

Im April 2023 folgte eine weitere Verschärfung. Festplatten-Hersteller Seagate wird vom BIS (Bureau of Industry and Security) mit einer administrativen Strafe von 300 Millionen Dollar belegt, weil das Unternehmen mehrere Millionen in Singapur gefertigte Festplatten an Huawei für deren Webservices lieferte. 

Die Strafe ist quartalsweise mit je 15 Millionen Dollar über fünf Jahre abzustottern. Das schreckt mit Sicherheit auch andere Tech-Lieferanten ab, die ihr Geld auf dem amerikanischen Markt verdienen. Verhandlungen mit China gibt es über die Vorgehensweise nicht. Das nennt man wohl kalten Entzug von High-Tech-Lizenzen. 

Neue Einordnung: Freihandel ist unfaire Hilfestellung

Präsident Biden hat den Systemkampf aufgenommen und beordert seine global agierenden Industrieunternehmen mit finanziellen Zuwendungen wieder nach Hause. 

Die Welt stehe an einem Wendepunkt, „einem jener Momente, die nur wenige Generationen erleben, wo die Richtung, die wir jetzt einschlagen, den Kurs dieser Nation und der Welt für die nächsten Jahrzehnte bestimmen wird“, verkündete Biden im Februar 2023.

Gleichzeitig denkt Amerika intensiv über Protektionismus nach. In guter Tradition mit Ex-Präsident Donald Trump stehen auch Überlegungen zur Abkehr vom weltweiten Freihandel. Ein wenig zynisch ist dabei die Idee, dass diese Entwicklung vorteilhaft für Europa sei, das endlich die Chance bekomme den eigenen Laden auf Vordermann zu bringen. 

Die Washingtoner Politik hat sich entschlossen, Hochtechnologie nur unter ihrer Aufsicht stattfinden zu lassen. Jedes Unternehmen darf die Subventionstöpfe in Anspruch nehmen, wenn die Wertschöpfung zum größeren Teil in Amerika stattfindet. Europäische Politiker wie Wirtschaftsminister Habeck und Präsident Macron warnen folgerichtig vor der De-Industrialisierung Europas und wollten die Bedingungen nachverhandeln. Was auf der anderen Seite des Atlantiks nicht gut ankam. Die Süddeutsche Zeitung etwa zitierte das New York Magazin, Europa solle bitte aufhören zu heulen, sich selbst ins Zeug legen und das eigene Wirtschafts- und Governance-Modell auf Vordermann bringen. 

Kein Mangel an Subventionen

An „Sondervermögen“ mangelt es in den USA nicht. Für die Inflationsbekämpfung oder konkreter für staatliche Beihilfen in den Klimaschutz stellt die US-Regierung 370 Milliarden Dollar bereit. Das trifft die EU im Kern, glaubt man hier doch eine gewisse Vorreiterrolle bei E-Autos und erneuerbaren Energien zu besitzen. 

Doch US-Amerika hat so seine eigenen Methoden, Rückstände bei gestern noch verpönten Technologien aufzuholen. Mit ihren massiven Subventionen schafft die Politik Spielraum für Start-ups, die sich der grünen Energiegewinnung und Batteriefertigung zuwenden – bei technischen Rückständen geht Amerika einkaufen. Daraus entstehende Normen und technische Standards setzt dann die amerikanische Rechtsordnung für den Rest der Welt fest. Nicht zuletzt pampert man ausländische Unternehmen mit Subventionen, wenn sie zu 60 Prozent in den USA fertigen. 

Dem ersten Schritt, die Inflation in Amerika zu begrenzen, folgen weitere Staatsschulden: Nach dem US Chips Act mit 52 Milliarden US-Dollar Volumen, legt die Biden-Harris Administration noch den CHIPS and Science Act mit dem zusätzlichen Kreditvolumen von 280 Milliarden US-Dollar auf, um auch das Umfeld privater Investitionen, gut bezahlte Jobs und die vermehrte Mitarbeit ausländischer Unternehmen anzukurbeln. Politischer ausgedrückt: die Widerstandsfähigkeit von Lieferketten zu erhöhen und sich gegen chinesische Fortschritte zu wappnen.

Überproduktion von Chips ist der Normalfall

Zwei Beispiele zeigen die Wirkung dieser Maßnahmen. Nummer 1: Texas Instruments, ein Urgestein amerikanischer Halbleiterfertigung, investiert 41 Milliarden US-Dollar und verdoppelt mit Geldern aus dem staatlichen Fördertopf die Anzahl seiner Fabs von vier auf bis zu acht. Nach knapp drei Jahren Bauzeit werden dort elektronische Komponenten für die Autoindustrie auf modernen 300 Millimeter Wafern bei Strukturbreiten von 65 und 45 Nanometer entstehen. Die erprobte Technik bei der Belichtung wird für einen hohen Yield (Produktionsausstoß) sorgen. 

Nummer 2: Selbst bei schwacher Nachfrage – wie diese seit mehreren Quartalen in der DRAM- und Flash-Produktion der Fall ist – gibt es keinen Sparwillen. Der einmal mehr tiefe Fall der Speicherbranche erfordert nicht die Stilllegung von Werken, sondern mehr davon. Als erste Gegenmaßnahme gegen die schlechten Abverkaufszahlen kürzt Micron die Produktion und braucht dann 15 Prozent seiner 50.000 Mitarbeiter nicht mehr. Der Lagerbestand wuchs trotz Produktionskürzungen innerhalb eines Quartals von 139 auf 214 Tage. Schon im Jahr 2022 veröffentlichte Micron den Plan in den nächsten 20 Jahren rund 100 Milliarden US-Dollar für neue Werke auszugeben. Den schon eingeplanten Zuschuss will Micron jedenfalls nicht verfallen lassen. Das Ziel ist klar: Nur wer mit bestem Equipment höchste Speicherdichten produziert, wird als Krisengewinnler auf dem playing field bestehen.

Chip-Produktion International

Zwischen den Fronten befindet sich Taiwan. Sein Spitzen-Auftragsfertiger TSMC, der mehr als 30 Prozent seines Umsatzes inzwischen mit 5-Nanometern-Chips erzielt, hat dummerweise seine Fertigung an einem sehr gefährlichen Ort. Die Abhängigkeit der USA von der chinesischen Chipproduktion ist unhaltbar und unsicher, ist von amerikanischen Politikern zu hören. TSMC versucht insofern strategische sein Überleben mittels Dependancen in Amerika und eventuell Europa zu sichern. 

Für Japan fasst die Nachrichtenagentur Reuters zusammen: Da sich die Handelskonflikte zwischen den USA und China verschärfen und Washington den Zugang Pekings zu sensibler Halbleitertechnologie einschränkt, beeilt sich Japan, seine Chip-Produktionsbasis wiederzubeleben. Das Land will mit Billionen Yen sicherstellen, dass seine Automobilhersteller und Informationstechnologieunternehmen nicht an der Schlüsselkomponente Mangel leiden und dass es über die fortschrittlichste Chiptechnologie verfügt, die für die Entwicklung neuer Bereiche wie der künstlichen Intelligenz (KI) erforderlich ist.

Fazit 

Angesichts des oben nur angedeuteten Engagements der amerikanischen Halbleiterbranche, kommt einem das Vorhaben Chips made in Europe sehr mickrig vor. Im Vergleich zu Korea, das Samsung bei seiner 200 Milliarden Investition sowie SK Hynix bei einem 80 Milliarden Fab-Upgrade mit Zuschüssen und Steuererleichterungen unterstützt, sieht der europäische Einstieg in die Halbleiterfertigung eher wie ein Notprogramm aus. 

Sicherlich gibt es in Deutschland eine gut funktionierende Zuliefer- und Chip-Industrie mit Infineon, Simat, Siltronic, Wacker Chemie, Zeiss, ZNF, und vielen mehr. Auch das Saxony Valley hat seinen Stellenwert. In diesem Ökosystem werden die Firma Intel und vielleicht auch TSMC erst mal ihr Ding machen. US-Chiphersteller Wolfspeed und Autozulieferer ZF, die im saarländischen Ensdorf eine Siliziumkarbidproduktion aufziehen, werden mit Fabs wie TI konkurrieren müssen. Zudem erweckt die deutsche Autoindustrie den Anschein, nicht mehr das zu sein, was sie mal war. Nicht zu vergessen: Innovationen bei E-Autos werden viele Chips zu großen hybriden Chips zusammenfassen, wie das jetzt schon in der CPU-Fertigung passiert.

Keiner braucht E-Autos, die schlechter sind als Smartphones

Kleiner Schock am Rande. Kurz nach der Ankündigung von US-Chiphersteller Wolfspeed und Autozulieferer ZF, im saarländischen Ensdorf eine Siliziumkarbidproduktion aufzuziehen, kündigte Tesla an, dass dank technischer Innovation in Zukunft nur noch ein Viertel, der für die E-Autos wichtigen und teuren Leistungshalbleiter benötigt werden wird. Und auch auf der Produktionsseite der Autobranche gibt es keine Entspannung. Wurden 2021 noch 5,6 Millionen PKW in Europa gefertigt, so sinkt die Fertigungsquote im Jahr 2022 auf 3,6 Millionen. Die nächste schlechte Nachricht kommt von der Automesse in Shanghai. Deutsche Autos sind den Chinesen zu teuer und die Internet-Anbindung der fahrbaren Multi-Media-Schlitten erfüllt nicht die Wünsche des chinesischen Konsumenten. Erstes in Deutschland zur Kenntnis genommenes Fazit: E-Autobauer BYD hat Volkswagen bei den Neuzulassungen überrundet. 

Autoteile und Automarktanteile

Von Januar bis August 2022 exportierten die Chinesen gut 1,8 Millionen Fahrzeuge, die deutsche Autoindustrie hingegen nur knapp 1,7 Millionen. Gleichzeitig stiegen Chinas Autoexporte nach Europa von 133.465 im Jahr 2019 auf 435.080 im Jahr 2021 wegen der wachsenden Nachfrage nach in China hergestellten Elektrofahrzeugen. Ebenso wie Deutschland importiert Europa inzwischen mehr Autos aus China als es exportiert.

Chinas Anteil am globalen Elektrofahrzeugmarkt stieg im vergangenen Jahr dank seiner Dominanz bei der Batterieherstellung und dem Erfolg chinesischer Hersteller wie BYD Auto auf 28 Prozent. Im selben Zeitraum sank der Anteil deutscher Hersteller wie Volkswagen von sieben auf vier Prozent.

Dass Europas Politiker von einem sich selbst inspirierendem Ökosystem träumen, wird nicht reichen. War da nicht noch vor einigen Jahren die große Aufbruchstimmung mit 5G und Industrie 4.0? Bislang redet allerdings keiner darüber, was Deutschland respektive Europa mit den beiden Spitzen-Auftragsfertigern machen will oder könnte. Oder ist jetzt schon klar, dass es 2026/2027, wenn die Fabs gebaut sind, schon zu spät ist für eine europäische sich selbst steuernde Industriefabrikation?

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