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Citizen Development: So sieht die erfolgreiche Umsetzung aus

In Zeiten knapp werdender IT-Personalkapazitäten kann der Einsatz von Citizen Development eine Chance für Unternehmen sein. Wie setzt man diese Strategie aber richtig um?

Die Suche nach qualifizierten IT-Fachkräften, allen voran Softwareentwicklern, gestaltet sich für Unternehmen immer schwieriger.

Laut Bitkom fehlen in Deutschland derzeit etwa 137.000 IT-Expertinnen und -Experten quer durch alle Branchen. Gleichzeitig geben 64 Prozent der Unternehmen in einer Gartner-Studie an, dass sie digitale Geschäftsbereiche entwickeln müssen, um in ein paar Jahren noch konkurrenz- und überlebensfähig zu sein. In Anbetracht dieser Lage wenden sich Unternehmen immer häufiger Automatisierung und dem Konzept der Citizen Developer zu. Das Konzept dahinter: Mitarbeiter ohne tiefgreifende Programmierkenntnisse werden zu sogenannten Citizen Developer, um die Automatisierung von Geschäftsprozessen mit Unterstützung von Low- oder No-Code-Tools zu entwickeln.

Theoretisch spart dieser Ansatz Kosten für die Rekrutierung und Einstellung von Entwicklern, allerdings sieht die Realität oftmals anders aus. Denn angehende Citizen Developer müssen ihre Zeit einerseits für die Automatisierung von Prozessen und andererseits für andere Aufgabenbereiche ihres Berufes richtig einteilen. Allein das Erlernen neuer Fähigkeiten erfordert viel Zeit und Geduld. Vor dem Hintergrund des ständigen Arbeitsdrucks stellt sich die Frage, wann die ausgewählten Mitarbeiter entsprechend geschult werden sollen. Wie sieht das Schulungsprogramm aus? Wann kann man erste Ergebnisse sehen und wie gehen diese Citizen Developer mit den entsprechenden Governance- oder Sicherheitsfragen um?

Ist es also sinnvoll, Mitarbeiter der Belegschaft zu Citizen Developer auszubilden oder sollten Unternehmen von vornherein die gleichen benutzerfreundlichen No-Code/Low-Code-Tools viel effektiver einsetzen, indem sie stattdessen Vollzeitentwickler schulen?

Vorsicht bei Schatten-IT

Während Unternehmen mit Citizen Developer und Automatisierungen wertvolle Zeit und Geld sparen, ihre IT-Mitarbeiter entlasten und Fortschritt und Innovation im Unternehmen beschleunigen können, gibt es auch einige Herausforderungen, die bei ihrem Einsatz berücksichtigt werden sollten.

Denn schnell können Anwendungen, die von Citizen Developer entwickelt werden, in eine ungesteuerte Schatten-IT umschlagen. Dies ist dann der Fall, wenn Mitarbeiter – ohne das Wissen und die Unterstützung der IT- Abteilung – eigenständig Lösungen für ihren Fachbereich entwickeln und betreiben.

Die entstehenden inoffiziellen Zweitsysteme der Fachabteilungen existieren dann neben der eigentlichen IT-Architektur und erfüllen meist nicht den Unternehmensvorgaben hinsichtlich Kontrolle, Sicherheit, Dokumentation, Qualität und Zuverlässigkeit. Außerdem können die bestehenden Lösungen auch nicht außerhalb der eigenen Abteilung verwendet werden, da nur eine begrenzte Anzahl der Mitarbeiter von diesen wissen und nutzen, wodurch eine Integration in die eigene Geschäftsebene unmöglich ist. Damit können andere Abteilungen von deren Vorteilen kein Gebrauch machen.

Was bei der Einführung von Citizen Development zu beachten ist

Hat ein Unternehmen die Entscheidung gefällt, Citizen Development in seinen Betrieb zu integrieren, sollten zunächst einmal alle Mitarbeiter vorab über die Leitvorstellung des Unternehmens und die Vorteile der Verwendung von Low- oder No-Code-Tools zur Automatisierung von Geschäftsprozessen aufgeklärt werden. Hier können Präsentationen der gesamten Belegschaft einen Einblick geben, wie Citizen Development richtig umgesetzt die teamübergreifende Zusammenarbeit erleichtern kann.

Darüber hinaus benötigen Unternehmen für ihr Vorhaben eine geeignete No-Code- oder Low-Code-Automatisierungsplattform, bei der Anwender Funktionalitäten in einem Baukastenprinzip miteinander kombinieren lassen können, um eigenständig Automatisierungen für die täglichen Geschäftsprozesse im Unternehmen zu entwickeln. Dieses sollte auch für Personen mit beschränktem technischem Vorwissen bedienbar sein und ein leicht zu erlernendes System bieten. Neben der Plattform muss auch ein spezielles Schulungsprogramm bereitgestellt und die Rolle beziehungsweise der Aufgabenbereich des Citizen Developer genau etabliert werden.

Gerd Plewka, SS&C Blue Prism

„Für die Zusammenstellung eines Entwicklungsteams sollten geeignete technisch versierte Mitarbeiter ausgesucht werden, die auch bereit und daran interessiert sind, sich als Vollzeit-Citizen-Developer ausbilden zu lassen.“

Gerd Plewka, SS&C Blue Prism

Für die Zusammenstellung eines Entwicklungsteams sollten geeignete technisch versierte Mitarbeiter ausgesucht werden, die auch bereit und daran interessiert sind, sich als Vollzeit-Citizen-Developer ausbilden zu lassen.

Gartner prognostiziert, dass bis zum Jahr 2024 80 Prozent der Technologieprodukte und -dienste von Personen entwickelt werden, die keine IT-Fachleute sind. Der Vorteil daran ist, dass Mitarbeiter aus den eigenen Fachabteilungen, genau darüber Bescheid wissen, welche Prozesse am besten automatisiert werden müssen, um die aktuellen Bedürfnisse der Kollegen zu decken. Dadurch wird der Mitarbeiter aber auch das gesamte Unternehmen flexibler.

Sind potenzielle Citizen Developer und eine geeignete Plattform geboten, braucht es auch eine gewisse Unterstützung der IT in Form eines effizientes Center of Excellence (CoE). Ihm kommt eine entscheidende Rolle zu: Es legt Best Practices fest, gibt Schulungen vor, sorgt für Sicherheit und Compliance und bietet Workshops, Mentoren und Unterstützung. Durch die Anbindung der Citizen Developer an einen Teil der IT wird nicht nur eine direkte Unterstützung sichergestellt, sondern anderen Mitarbeitern des IT-Teams die Chance gegeben, sich auf komplexere Aufgaben ihres Fachgebiets zu konzentrieren.

In Zeiten knapp werdender IT-Personalkapazitäten und wachsendem Digitalisierungsbedarf kann der Einsatz von Citizen Development – richtig umgesetzt – eine Chance für Unternehmen sein, in ihrem Digitalisierungsbestreben voranzuschreiten. Diese müssen Citizen Developer allerdings als Vollzeitstelle verstehen. Citizen Developer sollten nicht nebenher selbstständig Automatisierungen entwickeln.

Zudem müssen sie ihren technisch-versierten Mitarbeitern die Möglichkeit geben, sich trotz fehlender Coding-Kenntnisse Vollzeit mit dem Thema beschäftigen zu können. Denn entsprechende Low-/No-Code-Plattformen können das fehlende Wissen wettmachen, aber nicht die fehlende Zeit und fehlende Strategie hinter den Automatisierungen. Wenn diese Rahmenbedingungen erfüllt sind, kann Citizen Development eine sinnvolle Unterstützung sein, die Innovation und Produktivität der gesamten Organisation zu steigern. 

Über den Autor:

Gerd Plewka ist Head of Solution Consulting Central, East and North Europe bei SS&C Blue Prism. Gemeinsam mit seinem Team berät er Kunden vor sowie während der Einführung von Intelligenter Automatisierung und begleitet sie in der Skalierungsphase. Er verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der Technologie-Branche in unterschiedlichen Positionen. Bevor Gerd zu SS&C Blue Prism kam, war er unter anderem bei Sun Microsystems und Oracle Deutschland tätig.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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