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Antifragile Lieferketten: Wie Firmen Störungen meistern
Wie können sich Unternehmen besser auf Unterbrechungen in der Lieferkette vorbereiten? Eine Lösung ist, Lieferketten auf Grundlage des Konzepts der Antifragilität aufzubauen.
50 Jahre Globalisierung und Lean-Cost-Fokus haben zu hocheffizienten, aber fragilen Lieferketten geführt. Wie ein getuntes Rennauto sind diese Lieferketten darauf optimiert, zu funktionieren, wenn die Bedingungen konstant und vorhersehbar bleiben. Von COVID-19 wurden die Lieferketten besonders hart getroffen, weil die Fehlertoleranz hauchdünn ist und die Prozesse, die die Räder am Laufen halten, nicht digitalisiert wurden.
Nun wird viel über die Widerstandsfähigkeit von Lieferketten gesprochen. Dieser Begriff ist problematisch, weil er eine Stärkung bestehender Prozesse impliziert. Nassim Nicholas Taleb argumentiert, dass es bei der Bewältigung von Fragilität nicht einfach darum geht, die Dinge robuster zu machen, da selbst die stärksten Systeme eine Sollbruchstelle aufweisen.
Was tatsächlich erforderlich ist, ist eine umfassendere Neukonfiguration des Modells und der IT-Systeme – hin zur Antifragilität nach dem Konzept von Taleb. Antifragile Lieferketten sind nicht nur stark, sie sind auch anpassbar, um sicherzustellen, dass sie unabhängig von der Unterbrechung weiter funktionieren. Aber, was am wichtigsten ist, sie überleben die Unterbrechung nicht nur – sie verbessern sich dadurch.
Um dies zu erreichen, müssen Unternehmen digital arbeiten. Die Herstellung dieser digitalen Verbindung ist das grundlegende Element für den Aufbau einer antifragilen Lieferkette. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:
- End-to-End-Transparenz, die es ermöglicht, die Veränderungen in der Lieferkette zu erkennen, zu verstehen und zu bewältigen.
- Echtzeit-Anpassung, um zu reagieren, solange es noch eine Chance gibt, Veränderungen positiv zu beeinflussen.
- Benchmarking sowohl mit Branchenkollegen als auch mit den eigenen internen Bedürfnissen und Zielen.
- Ein Netzwerkansatz anstelle einer traditionellen Kette, um die Auswirkungen eines Single Point of Failures(SPoF) zu vermeiden.
Starre ERP-Systeme erschweren flexibles Handeln
Viele der inhärenten Mängel in modernen Lieferketten sind auf einen Mangel an Optionen zurückzuführen. Die meisten Lieferketten und die Technologie, die ihnen zugrunde liegt, wurden für eine statischere, sich langsam bewegende Welt entwickelt. Infolgedessen sind selbst kleine Änderungen oft ein mühsamer Prozess, der Monate oder sogar Jahre erfordert, um neue Lieferanten zu registrieren und in die IT-Infrastruktur der Lieferkette des Unternehmens zu integrieren.
Das Management der Lieferkettenbeziehungen wird typischerweise durch leistungsstarke, aber starre ERP-Systeme geregelt. Das ERP-System soll als virtuelles Cockpit des Unternehmens fungieren. Aber die Realität ist, dass diese Systeme nach wie vor stark auf manuell erstellte Eingaben aus einer Vielzahl von Quellen angewiesen sind. Unternehmen haben zwar den Informationsfluss mit einigen strategischen Lieferanten digitalisiert, aber die überwiegende Mehrheit der Informationen wird immer noch manuell erfasst.
Das Risiko in der Lieferkette kann durch eine ganzheitlichere Digitalisierung erheblich gemildert werden. Ein offenes Netzwerk von digital vernetzten Lieferanten bedeutet, dass ihre Daten elektronisch und nicht auf Papier oder als PDF existieren. Sie gelangen über die Cloud als rein digitale Daten in die Systeme der Einkäufer und fließen in Echtzeit in Anwendungen und Tools ein.
Unternehmen kämpfen mit der richtigen Art der Digitalisierung
Laut einem Bericht der Boston Consulting Group werden 70 Prozent aller Digitalisierungsprojekte ihre Ziele nicht erreichen. Seit den 1970er Jahren wird eine Digitalisierungsagenda vorangetrieben, die sich weitgehend an den Prioritäten der großen Käufer orientiert. Was sie dabei nicht berücksichtigen, ist, ob das System auch dem Verkäufer einen Wert bringt.
Software, insbesondere Unternehmenssoftware, wurde schon immer auf die Anforderungen einer bestimmten Unternehmensgröße zugeschnitten. Handelsnetzwerke aber umfassen ein ganzes Spektrum von Unternehmen unterschiedlicher Größe, Standorte und technischer Voraussetzungen. Das führt zu Reibung und Widerstand bei den Verkäufern. Einige werden sich vielleicht den IT-Systemen der Einkäufer anschließen. Viele andere werden sich widersetzen oder die alten Praktiken beibehalten.
Eine neue Generation von Cloud-basierten Supply-Chain-Technologieunternehmen öffnet die Tür für eine Reihe von Innovationen, die den Lieferanten helfen, unmittelbare Vorteile aus der Digitalisierung zu ziehen. Das reicht von kostenfreier Anbindung, leichten Onboarding-Prozessen zum Beispiel via App bis hin zu schnelleren Beschaffungs- und Bezahlprozessen sowie verbesserten Finanzierungsoptionen für die Lieferkette.
KI-gesteuerte Echtzeitanalyse von Produktströmen
Die traditionelle Art, Lieferanten mit Käufern zu verbinden, basiert auf einem System namens Electronic Data Interchange (EDI). Jede 1:1-Verbindung ist ein Projekt für sich, das sowohl für den Käufer als auch für den Verkäufer viel Zeit und Aufwand bedeutet. Es ist kostspielig, umständlich und Neukonfigurationen können Monate dauern, bis sie umgesetzt sind. Die Lieferkettenstruktur zu ändern bedeutet weg vom traditionellen Naben- und Speichen-Design der Supply-Chain-Management-Systeme hin zu einem stärker vernetzten digitalen Ansatz.
Die Schaffung dieser digitalen Grundlage ist auch die Voraussetzung für die Anwendung der Werkzeuge, die die Theorie einer antifragile Lieferkette zum Leben erwecken. Zum Beispiel mit künstlicher Intelligenz (KI). Sie kann Daten aus einer Reihe von öffentlichen und proprietären Quellen analysieren, um aus früheren Zeiten der Unterbrechung zu lernen und Vorschläge zu machen, was die Verantwortlichen in der Lieferkette tun können, um zukünftigen Herausforderungen zu begegnen. Auf der nächsten Ebene könnte sie sogar automatisch auf alternative Lieferanten ausweichen, wenn sie feststellt, dass die regulären Lieferanten des Unternehmens wahrscheinlich mit einer gewissen Störung konfrontiert sein werden.
„Das Management der Lieferkettenbeziehungen wird typischerweise durch leistungsstarke, aber starre ERP-Systeme geregelt.“
Mikkel Hippe Brun, Tradeshift
Diese Veränderungen erfordern von Unternehmen den Wert eines flexiblen B2B-Marktplatzansatzes für die Beschaffung zu erkennen. Jeder Rohstoff sollte mehrere Wege zum Markt haben. Wobei die Produzenten in der Lage sein sollten, je nach Bedarf zwischen den Wegen zu wechseln, um Überschüsse zu nutzen und Engpässe zu vermeiden. Die Lieferketten sollten auch zirkulär sein. Ungenutzte oder überschüssige Produkte werden in das System zurückgeführt, um sie zu recyceln, wieder zu verarbeiten und wieder zu verwenden.
Das ist es, was es wirklich bedeutet, von reaktivem Lieferkettenmanagement zu proaktivem Lieferkettenmanagement überzugehen. Die Lieferkette wird zur Stärke im Unternehmen, indem sie nach antifragilen Richtlinien neu aufgestellt wird.
Über den Autor:
Mikkel Hippe Brun ist Co-Founder und Senior Vice President, Greater China bei Tradeshift, einer globalen Handelsplattform, die Käufer und Verkäufer miteinander verbindet. Er ist außerdem CEO und General Manager von Tradeshift China, das sowohl inländischen als auch ausländischen Unternehmen, die in China tätig sind, Zugang zur Tradeshift-Plattform bietet.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.