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Acht Managementaufgaben für eine nachhaltige Digitalisierung
Die größte Hürde für die digitale Transformationen ist in vielen Unternehmen, die eigene Organisation nachhaltig zu verändern. Acht Maßnahmen, um sich nachhaltig zu verändern.
Digitalisierung ist für viele Unternehmen immer noch eine Hürde. Zweifel am Nutzen der digitalen Transformation sind dabei nicht das Problem – immer mehr Unternehmen erkennen diesen.
In einer Bitkom-Studie vom Mai 2021 äußerten nur noch zwölf Prozent der Befragten Zweifel am Nutzen der Digitalisierung für ihr Unternehmen. Zwei Jahre zuvor waren es noch 34 Prozent.
Moderne Technologien und Arbeitsweisen werden in den meisten Fällen schon erprobt. Die Hürde besteht eher darin, die eigene Organisation nachhaltig zu verändern. Dies ist eine Aufgabe für die Führungsebene.
Die folgenden acht Maßnahmen helfen, Veränderungen nachhaltig umzusetzen.
1. Ein ehrliches und konkretes Digitalisierungsziel formulieren
Zwischen dem, was als Ziel formuliert ist, und dem, was im Unternehmen wirklich zählt, ist nicht selten ein Unterschied festzustellen. Sarkasmus über Ziele und Prioritäten ist ein Indikator für Dissonanz. Eine ehrliche Diskussion hierüber ist unbequem. Sie braucht manchmal anonyme Kommunikationskanäle und einen externen Spiegel. Die Ehrlichkeit ist aber nötig, um das Engagement für Veränderungen herzustellen.
Erstaunlich häufig motivieren bestehende Ziele nicht oder sie sind so weich, dass scheinbar alle Aktivitäten dazu passen. Es ist nützlich, bei der Zieldiskussion gleichzeitig Unternehmenszweck, geschäftliche Ziele und Wetten zu betrachten. Eine Wette ist hierbei die spezifische Initiative, mit der versucht wird, ein Ziel zu erreichen.
Der Zweck ist die Triebfeder. Wenn sich Menschen mit einem Zweck identifizieren, verstärkt das ihren Einsatz und ihre Kreativität. Dies wiederum sind Grundlagen für Selbstorganisation. Solch eine Ausrichtung an einem gemeinsamen Zweck ist effektiver als Prozessvorgaben es sind. Dabei wirkt ein Zweck, der den Beitrag für Kundinnen und Kunden sowie die Gesellschaft beschreibt, inspirierender als ein Zweck, der auf das eigene Unternehmen abzielt.
Die Unterscheidung zwischen Zielen und Wetten ermöglicht es, zu formulieren, was geschäftlich erreicht werden soll, bei der Umsetzung aber flexibel zu bleiben. Initiativen als Wetten aufzufassen, erinnert daran, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Es gilt, Annahmen zu erproben und erst nachzulegen, wenn die Sicherheit steigt (Minimum-Viable-Product-Ansatz). Diese Sichtweise senkt das Risiko, dass eine Initiative zum Selbstzweck wird, denn sie kann verworfen werden, ohne das Ziel infrage zu stellen.
2. In Produkten statt in Projekten denken
Die agile Arbeitsweise betont nicht umsonst den Product Owner, statt eines Projektleiters. Beim Denken in Produkten werden Teams langfristiger ausgelegt und mit mehr Gesamtverantwortung ausgestattet. Finanziert werden Wertschöpfung und Fähigkeiten (Capabilities), weniger Phase und Features. Die Bereitschaft zu experimentieren wird gefördert, denn es ist klar, dass Nutzer und Nutzerinnen erst entscheiden, ob eine Lösung gut ist oder nicht, wenn ihnen etwas vorliegt. Risikominimierung besteht nicht im Vermeiden von Experimenten, sondern darin, diese so zu entwerfen, dass ein Fehlschlag nicht geschäftlich riskant ist.
Die Frage, was eigentlich Produkte einer internen IT sind, löst meist viel Diskussion aus. Diese Diskussion ist für sich genommen bereits sehr wertvoll. Sie zeigt auf, wo der Abgleich zwischen Geschäft und Beitrag der IT fehlt. Häufig ist die Lücke nur zu schließen, wenn Teams cross-funktional aufgestellt werden, Ergebnisverantwortung im Team verankert wird und Organisationseinheiten expliziter auf Marktergebnisse ausgerichtet werden.
3. Neue Erfolgsmetriken verinnerlichen
Beim Wechsel des Operating Models entsteht ein Blindflug, wenn alte Heuristiken nicht mehr gelten, die Führungskräfte aber neue Metriken und deren Bedeutung noch nicht verinnerlicht haben. Es ist daher empfehlenswert, Erfolgsindikatoren noch vor einer eigentlichen Organisationsveränderung zu überprüfen, zu überarbeiten und neue Metriken zu verinnerlichen.
Fragen, die hierbei helfen, sind:
- Messen aktuell genutzte KPIs wirklich Wert oder beurteilen sie nur Prozessfortschritt?
- Wenn jeder Bereich seine KPIs optimiert, kann dann im Zusammenspiel etwas Falsches herauskommen?
- Gibt es nur rückblickende KPIs oder auch Frühwarn-Indikatoren (leading KPIs)?
Auch wenn es schwerfällt, einmal erkannte Schwachstellen nicht gleich anzugehen, so ist es nützlich, die alten Prozesse noch eine Weile laufen zu lassen. Zum einen schafft dies ein besseres Verständnis über dysfunktionale Gesamtzusammenhänge. Zum anderen kann das Führungsteam die neuen Indikatoren als Steuerungsinstrument verinnerlichen, bevor Organisationsveränderungen ihre Kapazität binden.
4. Eine geschäftsrelevante Ende-zu-Ende-Lösung von Beginn an
Mit einer kleinen Lösung zu starten, ermöglicht Unbekanntes schrittweise zu meistern und Risiken einzugrenzen. Die Organisation erhält die Gelegenheit, das Skalieren in neuen Strukturen zu lernen.
Dabei empfiehlt sich, selbst kleine Lösungen von Anfang an über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg funktionsfähig zu gestalten. Dies vermeidet lokale Optimierungen einzelner Bestandteile, die dann im Gesamtzusammenspiel unzweckmäßig sind.
Damit klein startende Neuerungen nicht von etablierten Lösungen erstickt werden, ist ein geschützter, aber trotzdem geschäftlich relevanter Raum nötig. Neue digitale Lösungen können zum Beispiel auf neue Zielgruppen ausgerichtet sein, anstatt gleich das Bestandsgeschäft kannibalisieren zu wollen.
5. Portfolioentscheidung als Führungsaufgabe wahrnehmen
Portfoliosteuerung ist ein notwendiges Übel, keine Aufgabe, die begeistert. Häufig wird der Prozess deshalb delegiert und zu einem unproduktiven internen Tauziehen zwischen Stellvertretern. Ein wichtiger erster Prüfpunkt ist daher, ob die Portfolioentscheidungsrunde mit den richtigen Entscheidern oder Entscheiderinnen besetzt ist.
Ein zweiter Prüfpunkt ist, ob der Work in Progress (WIP) kontrolliert wird. Bei der Portfolioentscheidung geht es vielmehr darum, festzulegen, was nicht gemacht wird als um die Reihenfolge.
Ein dritter Prüfpunkt ist, ob die zu priorisierenden Themen in kleinere, in sich wertschöpfende Pakete unterteilt sind. Nur dann lässt sich flexibel neu priorisieren. Ein guter Anhaltspunkt sind Paketgrößen, die in rund drei bis sechs Monaten lieferbar sind und danach gestoppt werden können, ohne dass das bisher Investierte verloren ist. Besteht das Portfolio nicht aus derartigen Paketen, ist für den Aufbau einer effektiven Portfoliosteuerung auch zu überdenken, wie Lösungen geschnitten werden.
6. Den Zusammenhang zwischen Organisationsstrukturen und IT-Lösungen nutzen
Conway’s Law besagt, dass IT-Lösungen die Kommunikationsstrukturen der Organisation widerspiegeln, in der sie entstanden sind. Sind die aktuellen Strukturen keine wünschenswerte Vorlage für die IT-Lösungen? Dann ist ein Inverse Conway Maneuver eine gute Option. Also ein Umbau der Organisation, damit diese besser zur künftig gewünschten IT-Architektur passt.
Die bei digitalen Vorreitern und Vorreiterinnen verbreitete Netzwerkorganisation fördert Reaktionsgeschwindigkeit, da nicht alles durch ein Entscheidungsnadelöhr muss. Sie wirkt auch risikobegrenzend, da ein ineffektiver Teilbereich nicht zum bestimmenden schwächsten Glied einer Kette wird.
„Mit einer kleinen Lösung zu starten, ermöglicht Unbekanntes schrittweise zu meistern und Risiken einzugrenzen.“
Boubacar Traoré, Thoughtworks
Letztendlich geht es darum, Anpassungsfähigkeit in der Organisation zu fördern und dadurch auch eine evolutionäre Architektur zu ermöglichen.
7. Kollaborative Arbeits- und Führungsmodelle fördern
Taylorismus funktioniert nicht für geistige Arbeit. Mehrere Köpfe, die gemeinsam an einer Lösung arbeiten, sind effektiver. Daher sind interdisziplinäre Teams und Diversität so normal im digitalen Zeitalter. Allerdings ist immer wieder festzustellen, dass die eigentliche Herausforderung bei einer Modernisierung von Organisationen weniger im Aufsetzen von Teams liegt. Sie liegt vielmehr im Einüben eines neuen Führungsverständnisses.
Für traditionell sozialisierte Führungskräfte fühlen sich kollaborative Arbeitsformen wie ein Kontrollverlust an. Aber es fällt auch traditionell sozialisierten Teammitgliedern nicht leicht, Verantwortung tatsächlich anzunehmen. Auf beiden Seiten muss ein Lernprozess stattfinden. Es hilft, wenn interne Vorbilder gefördert werden. Ein Indikator, dass eine funktionierende Balance gefunden wurde: Wenn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht nur an ihre Führungskraft berichten, sondern diese als Teil des Teams gelten. Nicht umsonst teilen sich Führungskräfte in modernen Unternehmen ihren Arbeitsraum mit ihren Teams.
8. Interne Blocker für kreative und kollaborative Arbeit abbauen
Werkzeuge, Hilfsmittel, Raumgestaltung und vor allem interne Richtlinien sollten kreative und kollaborative Arbeit fördern. Ein wirksamer Startpunkt ist es, den Aufwand für schnelle Kommunikation zu minimieren. Dies beschleunigt Vorhaben um Faktoren. Effektive Maßnahmen sind zum Beispiel Colocation von Teams in einer auf agiles Arbeiten ausgelegten Umgebung, die Bereitstellung moderner Tools zur virtuellen Zusammenarbeit sowie ein möglichst offener Zugriff auf Informationen.
„Das Vorleben der richtigen Einstellung und Praktiken ist der Schlüssel zur nachhaltigen Veränderung.“
Ian Murdoch, Thoughtworks
Unternehmensentscheider als Vorbilder
Bei der Digitalisierung ist Technologie der Enabler, die Organisation ist eine Einschränkung. Die acht Maßnahmen beeinflussen das Führungsteam auch selbst, was eine Umsetzung herausfordernd macht. Das Vorleben der richtigen Einstellung und Praktiken ist der Schlüssel zur nachhaltigen Veränderung.
Über die Autoren:
Boubacar Traoré ist Head of Advisory Germany bei Thoughtworks. Boubacar hat in verschiedenen Rollen in der Individualsoftware-Entwicklung und in der Strategieberatung gearbeitet. Was ihn antreibt, ist Unternehmen dabei zu unterstützen, Informationstechnologie effektiver für ihre Wertschöpfung einzusetzen. Erfahrung in der Gestaltung von Operating Modellen hat er beim Aufbau neuer digitaler Geschäftszweige, in Post-Merger Situationen und in Transformationsprojekten gewonnen.
Ian Murdoch ist Advisory Principal bei Thoughtworks. Nach einigen Jahren als CIO und CTO in der Maschinen- und Automobilindustrie kehrte Ian zurück in die Beratung. Er bringt Lehren aus der praktischen Umsetzung von verschiedenen Operating Modellen in konzernweiter IT, IoT und Analytics-Programmen mit. Täglich hilft er unseren Kunden, kommerziellen Erfolg, großartige User Experience und technologische Innovation zu schaffen.