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Warum SAP S/4HANA das Data Warehouse nicht ersetzt
Auch wenn bereits über 15.000 Kunden S/4HANA einsetzen, stehen viele Anwender dem System skeptisch gegenüber. Das hat unter anderem mit der Datenbankarchitektur zu tun.
Als SAP 2015 die Business Suite 4 SAP HANA (S/4HANA) der Öffentlichkeit präsentierte, erkannten viele Kunden und Marktbeobachter die Chancen aber auch Herausforderungen, die sich mit dem Produkt-Launch ergaben. Für SAP war die Einführung der Suite, die ausschließlich auf der In-Memory-Datenbank HANA läuft, ein logischer Schritt.
Kunden sollen damit von optimierten Datenmodellen und einer schnelleren Datenverarbeitung profitieren. Allerdings muss die zu verarbeitenden Datenmenge schrumpfen – auf ein Zehntel des bisherigen Datenvolumens. SAP versprach seinen Kunden 2015 eine Run-Simple-Strategie mit schnellen Transaktionen und Analysen.
Dass der Weg dorthin steinig ist, war für viele Analysten und Kunden dennoch klar. Zwar konnte SAP mittlerweile über 15.000 Kunden für S/4HANA gewinnen. Dennoch bleiben viele Kunden der Vorgängerprodukte skeptisch, was ein Upgrade betrifft. Das hat unter anderem vier Gründe:
- S/4HANA bietet nicht alle Funktionen und Komponenten, welche die Vorgänger-Suite ERP Central Component (SAP ECC) umfasst. IT-Verantwortliche und Management müssen genau diskutieren und evaluieren, welche Vorteile eine Migration bringt und ob alle notwendigen Anwendungsszenarien abgedeckt werden.
- Einige Bestandskunden sehen in S/4HANA lediglich ein funktionales Update. Ein möglicher Umstieg wird auf die lange Bank geschoben, was sich darin widerspiegelt, dass SAP mittlerweile die Mainstream-Wartung für die Business Suite 7 verlängert hat – der Standard-Support läuft bis 2027, eine erweiterte Wartung wird bis 2030 angeboten.
- Zahlreiche Unternehmen stehen aktuell vor einem finanziellen Dilemma. Aufgrund der Coronapandemie verzeichnen sie rückläufige Umsätze, gleichzeitig wollen sie aber laut der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe Digitalisierungsprojekte vorantreiben. Da der Umstieg auf S/4HANA finanziell aufwendig ist und sich die Konsequenzen nicht komplett abschätzen lassen, investieren die verantwortlichen Abteilungen ihr schrumpfendes Budget vorerst in dringendere Projekte und legen die ursprünglich geplante ERP-Migration auf Eis.
- Der Umstieg auf S/4HANA bedeutet, dass sich Kunden auf ein Datenbankmodell beschränken müssen: Die In-Memory-Datenbank HANA. Vor allem dieser Punkt dürfte vielen CIOs und Verantwortlichen in den Unternehmen Kopfzerbrechen bereiten. Bestehende Datenbank- beziehungsweise Data-Warehouse-Architekturen müssen überdacht werden. Zudem müssen IT-Verantwortliche und Datenbank-Administratoren bestehende und künftige Datenbestände neu strukturieren, konsolidieren und komprimieren.
Es zeigt sich: Der Umstieg auf S/4HANA ist mit großem Aufwand verbunden. Im Folgenden soll es in erster Linie um die Einschränkungen im Zusammenhang mit dem HANA-Datenbankmodell gehen – und warum Unternehmensverantwortliche nach Alternativen suchen.
Wird das Data Warehouse obsolet?
SAP hat immer wieder darauf hingewiesen, dass klassische Data-Warehouse-Anwendungen bald ausgedient haben. Mit Blick auf die Cloud-Strategie des Anbieters, die aggressive S/4HANA-Vermarktungsstrategie und einer eigenen Data-Warehouse-Software für HANA, SAP BW/4HANA, ist diese Argumentation nachvollziehbar.
HANA bietet in dieser Hinsicht Vorteile: Aufgrund der hohen Performance der In-Memory-Datenbank ist es möglich, Daten in einer Produktivumgebung zu analysieren, ohne Leistungseinbußen im operativen Geschäft in Kauf nehmen zu müssen. Damit der HANA-Einsatz Sinn ergibt, müssen Anwender aber möglichst viele Berechnungen auf der Datenbank ausführen, um gleichzeitig den Anwendungsserver zu entlasten.
Da S/4HANA bereits grundlegende Analyse-Tools integriert, ist für das Erzeugen von operativen Reports grundsätzlich kein Data Warehouse erforderlich. Aus diesem Grund schickte SAP Business Warehouse teilweise in Rente und brachte mit BW/4HANA einen Nachfolger auf den Markt. Im Vergleich zu SAP BW setzt BW/4HANA direkt auf der HANA-Datenbank auf.
Doch warum stellt SAP eine zusätzliche Warehouse-Anwendung bereit? Die Antwort: BW/4HANA bietet Tools für die Datenverarbeitung, die im ERP-System nicht vorhanden sind. Mit der Anwendung lassen sich Daten aus externen Quellen ziehen – es findet somit eine Trennung zwischen den Daten im Produktivsystem und externen Daten für Analysezwecke statt.
Dies beantwortet – zumindest teilweise – bereits die oben gestellte Frage. Data Warehousing wird nicht verschwinden.
Die Rolle des Data Warehouse
Schaut man sich Data-Warehouse-Technologie im Detail an, kommt die Frage auf: Warum war es notwendig, Daten aus einem ERP-System zu extrahieren und in einem anderen System, einem Data Warehouse, redundant zu speichern?
Viele Unternehmen müssen Geschäftsdaten konsolidieren und anpassen, um sie allen Anwendern einer Organisation zur Verfügung zu stellen. Mit einem Data Warehouse erhalten Mitarbeiter, zum Beispiel in der Sales- oder Marketing-Abteilung, Zugang zu einem zentralen Repository – einer Single Source of Truth. Gleichzeitig bekommen Anwender über ein Data Warehouse standardisierte Datenmodelle geliefert, um historische sowie aktuelle Daten analysieren zu können.
Diese Anforderungen bestehen heute noch. Allerdings sind weitere hinzugekommen:
- Data Warehouses müssen mit neuen Datentypen funktionieren. Damit verbunden ist zum Beispiel die Interaktion mit einem Data Lake, in den unstrukturierte Daten aus externen Anwendungen einfließen.
- Anwender möchten Datenmodelle flexibel anpassen und modifizieren. Die Bereitstellung von Berichten soll unabhängig von der IT funktionierten. Die Anwender erwarten dabei leicht verständliche Tools.
- Analytics muss präzise sein. Die Anwender wollen nicht nur wissen, was in der Vergangenheit passiert ist, sondern auch in Zukunft. Das Data Warehouse muss Predictive Analytics beziehungsweise andere fortschrittliche Analysen unterstützen. Gleichzeitig müssen diese in Echtzeit oder mit nur geringer Verzögerung möglich sein.
- Die Konkurrenz ist gewachsen. Es gibt nicht nur neue Big-Data-Technologien, sondern auch Cloud-Anwendungen, die Datenmanagement und Datenanalyse abdecken.
Diese Punkte spiegeln die Entwicklung wider, die Data-Warehouse-Anbieter in den letzten Jahren gemacht haben. Vor allem die Verlagerung der Anwendungen in die Cloud und die Verfügbarkeit von Object Storage über Cloud-Anbieter wie Amazon Web Services, Microsoft Azure und Google liefern neue Argumente für Data Warehouses. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren neue Player am Markt aufgetaucht sind, unter anderem Snowflake, Yellowbrick und Databricks.
Warum Data Warehouses weiterhin notwendig sind
Auch wenn sich ERP-Systeme weiterentwickelt haben und SAP zahlreiche Analytics-Funktionen und sogar ein eigenes Business Warehouse mit S/4HANA integriert hat, ist Data Warehousing weiterhin notwendig. Das hat mehrere Gründe.
Betrachtet man allein die Verarbeitung und Analyse operativer Daten, mag ein System wie S/4HANA ausreichen. Aber Unternehmen müssen eine Vielzahl anderer Daten aus unterschiedlichen Systemen zusammenführen, konsolidieren und harmonisieren. Hierfür sind separate Systeme notwendig. Moderne Data-Warehouse-Anwendungen, welche die oben aufgezählten Hürden überwunden haben, bieten die notwendigen Funktionen, um sämtliche Daten bereitzustellen. Sie dienen als Single Source of Truth, auf die alle berechtigten Anwender Zugriff haben.
Ebenso findet die strategische Planung und das hierfür notwendige Reporting im Data Warehouse statt. Das geht mit Predictive Analytics über die Analyse von historischen Geschäftskennzahlen und dem Vergleich mit aktuellen Daten hinaus. Dafür sind Daten aus unterschiedlichen Quellen nötig, die in einem Data Warehouse zusammengeführt werden.
Außerdem sollten Unternehmensverantwortliche einen Punkt nicht außer Acht lassen: Wechselt man zu S/4HANA und den zugehörigen SAP-Anwendungen, beginnt man sich in ein Vendor Lock-in. Wurden die Geschäftsdaten einmal für die Datenbankschema der HANA-Datenbank normalisiert und für den Einsatz mit S/4HANA konsolidiert, lässt sich dies nur aufwendig rückgängig machen.
Zwar bietet HANA mehr Möglichkeiten und eine höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit als konventionelle relationale Datenbanksysteme. Allerdings werden die Daten entsprechend komprimiert und durch die speziellen Engines für das Datenbankschema angepasst. Da HANA eine proprietäre Technologie ist, sollten sich IT-Verantwortliche und Management genau überlegen, ob sie diesen Schritt gehen wollen.