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Transformation in der Finanzbranche: Abschied vom Mainframe?
Die Finanzbranche hängt an ihren Mainframes – aber allmählich setzt ein Wandel ein. Wir haben mit Dr. Christian Tölkes darüber gesprochen, wie sie die Transformation schaffen.
Deutschland gilt in technologischen Fragen als eher konservativ – und für die Finanzbranche trifft dies ganz besonders zu. Hier kommen verschiedene Gründe zusammen: strenge rechtliche Auflagen aufgrund sensibler Daten, eine Vielzahl von Legacy-Anwendungen auf Mainframes und eine Unternehmenskultur, in der traditionell die IT nur Mittel zum Zweck ist.
Doch all das ändert sich allmählich und immer mehr Finanzunternehmen finden ihren Weg – weg vom Mainframe-zentrierten Ansatz und hin zu Servern sowie mehr Cloud-Nutzung. Wir haben mit Dr. Christian Tölkes gesprochen, der in seiner Funktion als Managing Director Cloud Strategy & Consulting in DACH für das Beratungsunternehmen Accenture einige dieser Projekte begleitet.
Mehr Pull- als Push-Faktoren
Auch, wenn es schon länger moderne Fintech-Unternehmen gibt, die auch in Deutschland Cloud- und anderweitig modern unterstützte Finanzprodukte anbieten, hat sich die Branche im Allgemeinen nur langsam der Cloud zugewandt.
Christian Tölkes sieht diesen Wandel seit vier oder fünf Jahren – aber auch dann wollen die meisten Banken nicht ganz weg vom Mainframe. Das liegt daran, dass letzterer gar nicht so ungeliebt ist. Mainframes arbeiten schnell und sauber, vor allem mit den großen Datensätzen, wie sie in der Finanzbranche vorkommen.
Tölkes weist darauf hin, dass Anbieter von Standardsoftware wie SAP ihren Kunden schon vor geraumer Zeit den Umstieg vom Mainframe ermöglicht oder durch Abkündigung der Mainframe-Unterstützung sogar forciert hat, was in anderen Branchen zu weitestgehendem Ausstieg aus der Mainframe-Technologie geführt hat.
Ein externer Softwareanbieter ermöglichte vielen Betrieben den Wechsel auf Server oder die Cloud oder erzwang ihn sogar. „Mit ihren Eigenentwicklungen sah sich die Finanzbranche bei einer Cloud-Migration mit erheblich höheren Kosten und Risiken konfrontiert und zögerte deshalb“, sagt Dr. Tölkes.
Ein Nachbau der Anwendung ist sehr teuer und aufwendig, ein einfaches Lift-and-Shift macht in der Regel die Gründe für den Wechsel in eine andere Infrastruktur, wie die Agilität, die Ressourceneinsparung und die einfachere Wartung zunichte.
Trotz alledem sieht Dr. Tölkes einen nachhaltigen Trend weg vom Mainframe. Zu dessen Nachteilen gehört einerseits, dass IT-Abteilungen komplett abhängig von einem Anbieter sind, zum anderen, dass immer weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen, die überhaupt mit Programmiersprachen wie COBOL und der speziellen IT-Infrastruktur zurechtkommen.
Unterm Strich überwiegen bei der Entscheidung, diesen Wechsel anzugehen, jedoch vor allem die Pull-Faktoren, nämlich die Flexibilität in der Cloud und die vielen Möglichkeiten durch KI, maschinelles Lernen und das Heranziehen externen Know-Hows in Cloud-Services.
Scheibchentaktik erleichtert den Abschied vom Mainframe
Hat sich ein Unternehmen einmal entschieden, rät Christian Tölkes zu einem schrittweisen Vorgehen. Dabei sollten Verantwortliche in einem ersten Schritt überlegen, welche Teile der IT-Architektur sich durch Standardlösungen ersetzen lassen – hier ist das Frontend beispielsweise ein Kandidat. Als Zweites sollten sie sich darum bemühen, den Mainframe digital zu entkoppeln.
„Die Technologie als solche lieben die Kunden. Sie wollen ihre Mainframes nicht aufgeben und sehen aber auf der anderen Seite die Möglichkeiten, die die Cloud ihnen bietet. In diesen Fällen gibt es Wege, Mainframes an die moderne IT-Welt anzubinden.“
Dr. Christian Tölkes, Accenture
Das heißt, Schnittstellen zu schaffen, über die Informationen zwischen den Mainframes und den neuen Diensten fließen können. In diesem Stadium bleibt die grundlegende Datenverarbeitung auf den Mainframes, aber immer mehr zusätzliche Funktionen laufen in der Public oder Private Cloud.
In einem dritten Schritt kann das Unternehmen schließlich darüber nachdenken, ob und wie es die verbliebenen Mainframe-Funktionen auslagern und die alte Hardware abschalten möchte. Dieser letzte Schritt ist in der Regel der teuerste und aufwendigste. Nicht jeder muss ihn sofort vollziehen, besonders, wenn der Großrechner noch nicht das Ende seines Lebenszyklus erreicht hat.
Generell warnt Dr. Tölkes vor zu kurzsichtigen, geschäftsorientierten Entscheidungen: „Wer erwartet, dass jeder einzelne Schritt ihm einen finanziellen Vorteil bringen sollte, wird voraussichtlich das Projekt als gescheitert betrachten.“ Besser sei es, diese Transformation als Investition in die Zukunft zu sehen und auch miteinzubeziehen, dass der Betrieb von Mainframes aufgrund des Anbietermonopols und des Personalmangels immer teurer werden wird.
Der Wechsel wird immer einfacher
Zum Glück, so Christian Tölkes, hat der IT-Markt auch erkannt, dass es hier ein starkes Bedürfnis in der Branche gibt. Dazu gehören Erleichterungen von Seiten der Cloud-Anbieter, Mainframe-Daten über APIs einzuspeisen, konstruktive Zusammenarbeit mit der Aufsicht und spezialisierte Services. So gibt es mittlerweile sogar KI-Lösungen, die COBOL-Code in Java übersetzen können. „Das hilft Ihnen nichts, wenn Ihr COBOL-Programm vorher eine totale Blackbox war, die niemand mehr wirklich fachlich versteht“, sagt Tölkes. „Aber wenn Sie Mitarbeiter haben, die den Java-Code mit dem COBOL-Original abgleichen und gegebenenfalls nochmal manuell überarbeiten können, dann beschleunigt das Ihre Transformation.“
In der näheren Zukunft werden wahrscheinlich immer mehr Banken und andere Unternehmen in der Finanzbranche zumindest auf ein hybrides Modell wechseln. Das bedeutet, dass Mainframes nicht verschwinden, sondern Teil immer agilerer, flexiblerer und schnellerer IT-Architekturen werden. Auf diesem Wege reduzieren Unternehmen ihren Bedarf an Mainframe-Programmierern, entwickeln interessante neue Produkte für ihre Kunden und erschließen sich neue Einkommensquellen.