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Time-sensitive Networking: Potenzial für Industriesteuerung
Dank VLAN-Prioritätsebenen kann Time-sensitive Networking (TSN) den Paketstrom zuverlässiger gestalten. Von der Technologie könnte besonders die industrielle Steuerung profitieren.
Ethernet- und IP-Networking hat fast universelle Akzeptanz in Büros, im Heimbereich und bei Wide-Area-Verbindungen erreicht, aber in den Fabrikhallen blieb der große Erfolg bisher aus.
Einige Fertigungsmaschinen, zum Beispiel CNC-Anlagen (Computerized Numerical Control), erfordern eine garantierte Latenz. Die Pakete müssen einem strikten Zeitplan folgen. Bereits eine Verzögerung vom Bruchteil einer Millisekunde ist nicht akzeptabel. Infolgedessen war es nicht möglich, den Büro- und Fertigungsbereich im Unternehmen über das gleiche geswitchte Ethernet- oder IP-Netzwerk miteinander zu verbinden.
Ethernet nutzt eine konkurrenzbasiertes Zugriffsmethode, ohne Garantie, wie lange eine Station verzögert werden kann, bis sie Zugang zum Netzwerk erhält. Ähnliches gilt für IP-Pakete, die gesendet werden, ohne dass deren Zustellung gewährleistet ist. Die TCP-Schicht stellt sicher, dass Nachrichten irgendwann am Ziel ankommen, bietet aber keine Garantie, wie lange dies dauert oder dass die Pakete in einer bestimmten Reihenfolge eintreffen.
VLAN-Prioritäten (Virtual LAN) und QoS-Garantien (Quality of Service) stellen eine adäquate Performance für die meisten Enterprise-Netzwerkanwendungen sicher, doch sie können die Anforderungen des Fertigungsbereichs nicht erfüllen. Andere Anwendungen haben vergleichbare Anforderungen. Jetzt bietet eine Reihe von neuen IEEE-Standards eine Möglichkeit, das Enterprise- und das Industriesteuerungsnetzwerk zu verbinden, so dass beide Traffic-Typen das gleiche Netzwerk nutzen können.
Was ist Time-sensitive Networking (TSN) und wie funktioniert es?
Die Arbeit des IEEE begann mit der Unterstützung von Audio- und Videostudios. Spezielle analoge Netzwerke sorgten für die konstante Verzögerung, die Voraussetzung für hochqualitative Ton- und Videoaufnahmen war. Jede Verbindung benötigte ein separates Kabel, was zu einem unübersichtlichen Leitungsgewirr führte. Dieses Durcheinander mit einem einzigen Ethernet-Kabel zu ersetzen, war eine attraktive Option.
Obwohl am Anfang der Fokus auf Audio- und Videoanforderungen lag, wurde bald schon klar, dass für den Fertigungsbereich und andere Anwendungen die gleichen Voraussetzungen galten. Die Aufgabe wurde nun dahingehend erweitert, dass mehrere Protokolle mit einem umfassenderen Ansatz entwickelt werden sollten.
Im Jahre 2012 änderte die IEEE 802.1 Audio Video Bridging Task Group ihren Namen in Time-Sensitive Networking Task Group. Diese IEEE Task Group entwickelte eine Reihe von Standards, die es zeitkritischem Traffic ermöglicht, strikte Latenzanforderungen zu erfüllen, während Enterprise Traffic weiterhin das gleiche Netzwerk nutzen darf.
Die Standards definieren, wie die Zeit zwischen zeitkritischem Traffic und zeitunkritischem Enterprise Traffic aufgeteilt wird. Dabei sorgen VLAN-Prioritäten für eine Unterscheidung der Traffic-Typen. Jeder End-to-End-Paketstrom wird einer von acht unterschiedlichen VLAN-Prioritäten zugeordnet. Der gesamte zeitkritische Traffic wird in der Regel der höchsten Prioritätsebene zugeordnet.
Standards für Time-sensitive Networking
IEEE 802.1Qbv spezifiziert, wie die Zeit in sich wiederholende Zyklen mit fester Länge aufgeteilt werden kann, wobei innerhalb jedes Zyklus jede VLAN-Prioritätsebene einem Zeitfenster zugewiesen wird. Dem VLAN, das zeitkritischen Traffic enthält, wird ein Zeit-Slot zugewiesen, während zeitunkritischer Traffic mit geringerer Priorität andere Slots erhält. Jede VLAN-Priorität kann einem individuellen Zeit-Slot zugeordnet werden. Es lassen sich aber auch mehrere Prioritäten im selben Slot zusammenfassen.
Die Länge jedes Zyklus muss konfiguriert werden, um die Latenzanforderungen der Anwendung zu erfüllen. Insbesondere muss der Zeit-Slot, der der VLAN-Priorität mit zeitkritischen Daten zugeordnet ist, oft genug wiederkehren, um den Anforderungen der Anwendung zu genügen.
Die strikte Traffic-Trennung macht es erforderlich, dass alle Switches und Endknoten, die zeitkritischen Traffic übertragen, über synchronisierte Uhren verfügen. Pakete lassen sich nur dann genau zum benötigten Zeitpunkt zustellen, wenn alle Elemente im Netzwerk sich auf eine einheitliche Zeit einigen. IEEE 802.1AS gibt an, wie die Synchronisierung eingerichtet und beibehalten wird.
Zeitkritische Paketströme müssen sorgfältig konfiguriert werden. Ebenso gilt es, die Anzahl der Puffer in jedem Knoten zu konfigurieren, da Paketverluste in einem konventionellen Netzwerk typischerweise dann auftreten, wenn einem Switch oder Empfangsknoten die Puffer ausgehen. Pakete dürfen für die konfigurierte Anzahl an Puffern nicht zu schnell gesendet werden. Von der IEEE definierte Packet-Shaping-Algorithmen legen die Intervalle zwischen aufeinander folgenden ausgehenden Paketen fest.
Darüber hinaus wird auch die maximale Paketlänge konfiguriert und der Netzwerkpfad für jeden End-to-End-Strom im Voraus bestimmt. All dies führt dazu, dass jedem zeitkritischen Switch oder Endknoten immer genügend Puffer zur Verfügung stehen, Pakete sich nicht in einer Switch-Warteschlange stauen und nicht in beliebiger Reihenfolge eintreffen, weil sie unterschiedliche Routen nehmen.
Ein Schutzband am Ende eines Zeit-Slots mit geringerer Priorität verhindert, dass ein Paket mit niedrigerer Priorität in den Beginn des Zeitfensters hineinragt, das dem Traffic mit höherer Priorität zugewiesen ist. Keine Übertragung kann während des Schutzbands beginnen. Ein langes Paket, das vor dem Schutzband beginnt – und darüber hinausreichen würde –, wird in zwei Paketfragmente aufgeteilt, wobei das zweite nach Ende des zeitkritischen Zeit-Slots gesendet wird.
Zeitkritische Technologie mit Wachstumspotenzial
Die IEEE-Standards für Time-sensitive Networking finden mittlerweile über die ursprünglichen Anwendungen hinaus Verwendung. Die Stromerzeugung und -verteilung basiert derzeit auf komplexen Steuerungsnetzwerken. Die aktuelle Technologie gegen Ethernet auszutauschen, bietet sich als eine vielversprechende Lösung an.
Die Automobilindustrie implementiert zeitkritische Technologie, um die Vielzahl einzelner Kabel in einem Fahrzeug zu ersetzen. Zum Beispiel erfordern Funktionen wie die Motorsteuerung und Sicherheitsfeatures wie die Fahrspurerkennung enge Grenzen in puncto Verzögerung, während dies bei Infotainment- und Navigations-Traffic nicht der Fall ist. Leitet man diese Datenströme über das gleiche Ethernet-Kabel, lässt sich das Gewicht der vielen einzelnen Kabel und der Aufwand für ihre Installation reduzieren.
Aktuell werden Anstrengungen unternommen, die Standards für zeitkritisches Networking auf drahtlose Netzwerke auszuweiten. Wenn sich die gegenwärtigen Anwendungen als erfolgreich erweisen, werden auch zusätzliche Szenarien von dieser Technologie profitieren.