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Quantencomputer werden die Zukunft verändern
Quantenrechner sind keine Science-Fiction mehr. Erste praxistaugliche Systeme und Simulatoren sind bereits verfügbar und können Supercomputer übertrumpfen.
Quantencomputer werden in wenigen Jahren nicht nur in Forschungseinrichtungen und Großkonzernen zu finden sein.
Unternehmen wie IBM, Intel, Google und Atos arbeiten an Systemen für jedermann. Erste Erfahrungen mit der Technik können Nutzer mithilfe von Quanten-Simulatoren oder Quantenrechnern aus der Cloud machen.
Null, Eins und beides gleichzeitig
Null oder Eins – Ja oder Nein: Nach diesem Prinzip arbeiten alle herkömmlichen Rechner auf Basis der Von-Neumann-Architektur, vom Raspberry Pi bis zum Supercomputer.
Mit Quantencomputern betritt eine Systemgeneration die Bühne, die sich von diesem ehernen Gesetz verabschiedet. Solche Rechner nutzen Effekte aus der Quantenphysik.
Dazu zählt, dass ein Quantenbit (Qubit) im Gegensatz zu einem „normalen“ Bit gleichzeitig viele Zustände einnehmen kann: 0, 1 und beide Werte gleichzeitig, die „Superposition“. Diese Werte kann ein Quantensystem für Berechnungen verwenden.
Die hohe Leistung von Quantensystemen hängt zudem von einem zweiten Effekt ab: der Verschränkung (Entanglement) von Quantenbits in einem Register.
Kommt es bei einem Qubit zu einer Änderung des Zustands, tritt sie auch bei allen anderen Qubits auf, die mit diesem einen Quantenbit verschränkt sind – und zwar in Echtzeit und über jede Entfernung hinweg.
Diese Änderungen können wiederum in klassische 1- und 0-Werte übersetzt werden. Beide Quanteneffekte sind die Basis der hohen Rechengeschwindigkeit von Quantenrechnern. Diese liegen etwa um den Faktor 1.000 über denen von klassischen Computern, die auf dem Von-Neumann-Prinzip basieren.
Problem: Komplexer Systemaufbau
Doch bei Quantensystemen ist längst nicht alles Gold, was glänzt. Zu den Problempunkten bei Quantenrechnern zählt ihr komplexer Aufbau. Systeme, die mit Quantenprozessoren auf Basis von Supraleitern arbeiten, müssen beispielsweise auf eine Temperatur nahe des absoluten Nullpunkts heruntergekühlt werden. Das sind -273°C.
Zudem ist es erforderlich, alle potenziellen Störfaktoren auszuschalten, etwa Funkwellen und andere Strahlungen. Das erfordert einen komplizierten Systemaufbau in abgeschotteten Umgebungen.
Diese Komplexität führt außerdem zu einer höheren Ausfallrate, bedingt durch Hardwareprobleme. Sie liegt nach Angaben von Rechnerfachleuten bei einem Quantensystem um den Faktor 20 höher als bei einem konventionellen Computer.
Zwei Grundmuster
Generell wird zwischen zwei Modellen von Quantenrechnern unterschieden: Zum einen den adiabatischen Systemen (Quantum Annealer), etwa den Rechnern des kanadischen Anbieters D-Wave Systems, zum anderen den Systemen auf der Grundlage von Quantengattern (Gate Model). Solche Systeme haben beispielsweise IBM, Google, Intel und das US-Unternehmen Rigetti Computing entwickelt.
Quantum Annealer sind speziell dafür ausgelegt, Optimierungsprobleme zu lösen. Ein klassisches Beispiel ist das „Problem des Handlungsreisenden“. Dabei wird für einen Vertriebsmitarbeiter eine optimale Route für eine Rundreise durch mehrere Orte ermittelt.
Bereits bei zehn Orten müssen 181.440 Varianten geprüft werden, bei 15 Stopps dagegen an die 43 Milliarden Möglichkeiten. In der Praxis sind solche Problemstellungen häufig anzutreffen. Beispiele sind die Steuerung des Verkehrsflusses in Großräumen, die Abstimmung von Flugplänen sowie die Analyse von Finanztranskationen und Anlagemöglichkeiten.
Volkwagen setzt auf Quantencomputer
Der Automobilhersteller Volkswagen nutzte beispielsweise Quantensysteme von D-Wave, um in der chinesischen Hauptstadt Peking die Fahrzeiten von Taxis zu erfassen und zu optimieren.
Für solche Aufgaben sind Quantum Annealer wie der D-Wave 2000Q mit 2.000 Qubits ausgelegt. Der Rechner ist seit Anfang 2017 auf dem Markt. Der Preis liegt bei etwa 15 Millionen US-Dollar. Allerdings, so der Hersteller, bietet er nicht nur eine höhere Rechenleistung als Supercomputer, sondern benötigt auch deutlich weniger Strom: 25 kW statt 2.500 kW.
Ende 2017 hat VW auch eine Kooperation mit Google geschlossen, einem Konkurrenten von D-Wave auf dem Gebiet Quantenrechner. Die Fachleute von VW wollen die Quantensysteme von Google verwenden, um auf drei Gebieten Fortschritte zu erzielen: der Verkehrsoptimierung sowie der Simulation von Materialstrukturen für E-Fahrzeug-Batterien und neuen Werkstoffen. Das dritte Feld sind Verfahren für das maschinelle Lernen und im Bereich künstliche Intelligenz.
Digital Annealer von Fujitsu
Auch Fujitsu hat mit dem Digital Annealer ein System vorgestellt, das in die Kategorie der Annealer fällt. Das System nutzt einen „vom Quanten-Tunnel-Effekt inspirierten“ Simulationseffekt, so Dr. Joseph Reger, Chief Technology Officer von Fujitsu.
Der Rechner teilt ein zu lösendes Problem, wie etwa eine Monte-Carlo-Simulation, mittels Parallelisierung in kleine Häppchen auf. Diese werden in den einzelnen Threads simultan bewertet. Dieser Vorgang wird viele Male wiederholt. Der Fujitsu Digital Annealer erreicht bei solchen Operationen nach Angaben von Fujitsu eine Rechenleistung, die 100.000 Mal höher ist als die von konventionellen Computern.
Bei Tests ließ Fujitsu den Digital Annealer gegen einen Server mit einem Xeon-Prozessor von Intel mit 3,5 GHz Taktfrequenz antreten. Das Testobjekt war das „Problem des Handlungsreisenden“. Bei dem Test mussten die Rechner eine Routen-Optimierung von 32 Reiseorten vornehmen. Der Server mit Xeon-CPU benötigte für die Berechnung rund 8.000 Sekunden, also etwa zwei Stunden, der Digital Annealer Unit (DAU) nur 0,5 Sekunden.
Universelle Angebote von IBM, Google, Rigetti, Intel und Co.
Im Vergleich zu Digital Annealern sind Quantenrechner auf Basis von Quantum Gates (Quantengattern) universeller einsatzbar. Sie lassen sich auch mit Algorithmen füttern, die nicht auf Optimierungsprobleme hin ausgerichtet sind.
Die Quantenprozessoren von Google fallen in diese Kategorie. Anfang März 2018 stellte Google mit dem Bristlecone einen Prozessor mit 72 Qubit vor. Das Unternehmen will ihn zunächst dazu verwenden, um die Fehlerkorrektur-Verfahren bei Quantenprozessoren zu verbessern. Diese sind wichtig, weil Fehler (Rauschen) die Qualität und damit die Performance von Qubits und Quantencomputern stark reduzieren.
IBM wiederum präsentierte Anfang Januar 2018 auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas den Prototypen eines 50-Qubit-Quantentrechners. Über die IBM-Cloud steht Forschern aus aller Welt zudem ein Quantensystem mit 20 Qubit zur Verfügung. Die Cloud-Version soll Interessenten den Einstieg in die Welt des Quanten-Computing erleichtern – und natürlich für IBM neue Kundengruppen erschließen.
Im Rennen um einen Allzweckquantenrechner ist zudem das US-Unternehmen Rigetti vertreten. Der Quantenprozessor 19Q mit 19 Qubit verwendet Supraleiter als Basis. Rigetti setzt allerdings auf einen Hybrid-Ansatz: Der 19Q ist für Berechnungen ausgelegt, die Quantensysteme erfordern, unterstützt aber auch Aufgabenstellungen aus dem Bereich klassisches Computing. Damit will der Hersteller ein größeres Umfeld für Anwendungen seines Systems schaffen.
Ein Beispiel ist das automatische Sortieren von Daten in zwei Cluster. Solche Aufgaben fallen beispielsweise im Bereich maschinelles Lernen an, etwa bei der Bewertung von Kreditrisiken und der Segmentierung von Bildern. Rigetti hat mit Forest eine passende Entwicklungsplattform für Quantum/Classical-Algorithmen bereitstellt.
Intel fährt zweigleisig
Auf einen zweigleisigen Ansatz setzt Intel. Der Halbleiter- und Prozessorspezialist stellte Anfang 2018 den Quantenprozessor Tangle Lake mit 49 Qubit vor. Er basiert auf dem Supraleitungs-Prinzip, benötigt also einen Kyrostaten (Kühlgerät), der die Umgebungstemperatur auf 20 Milli-Kelvin (-273 °C) reduziert. Es ist nachvollziehbar, dass solche Quantensysteme nur bedingt alltagstauglich sind.
Daher arbeitet Intel mit der niederländischen Universität Delft an einem alternativen Ansatz: Spin Qubits. Das Forschungslabor QuTech der Uni Delft erzeugt diese Form von Qubits mit Mikrowellen, welche die Drehung eines Elektrons auf einem Silizium-Substrat verändern. Entsprechende Quantenprozessoren können daher mithilfe eines herkömmlichen Halbleiter-Fertigungsprozesses hergestellt werden.
Intel hat bereits ein solches Verfahren entwickelt und will noch 2018 Wafer mit jeweils mehreren 1.000 Qubit-Arrays herstellen. Weitere Vorteile von Spin Qubits sind die höhere Packungsdichte der Bits und deren stärkere Bindungskraft (Kohärenz). Dies ist wichtig, weil Quantenbits nur dann für Rechenoperationen in Frage kommen, wenn möglichst viele von ihnen möglichst lange Zeit miteinander verschränkt sind.
Quantenrechner mit Spin Qubits stehen noch Anfang der Entwicklung. QuTech demonstriert im Februar 2018 ein System mit zwei Qubits. Allerdings lassen sich nach Einschätzung der Forscher mit Quantenrechner aufbauen, die über deutlich mehr Spin Qubits verfügen.
Erfahrungen sammeln mit Simulatoren
Um erste Erfahrungen mit Quantenrechnern zu sammeln, müssen Unternehmen und Forschungseinrichtungen nicht zwangsläufig ein solches System anschaffen. Den Einstieg in diese Technologie und das Programmieren von entsprechenden Algorithmen erleichtern Quanten-Simulatoren.
Dazu zählt die Quantum Learning Machine (QLM) des französischen IT-Konzerns Atos. Die QLM ist im Prinzip ein kompakter Supercomputer herkömmlicher Bauart, der einen Quantenrechner mit bis zu 40 Qubit simuliert. Das amerikanische Forschungszentrum Oak Ridge National Laboratory (ORNL) in Oak Ridge (Tennessee) verwendet beispielsweise das Atos-System, um Quanten-Algorithmen zu entwickeln und zu testen. Zudem führen die Forscher damit komplexe Simulationen durch.
Atos will zudem einen eigenen, vollwertigen Quantenrechner, inklusive der entsprechenden Hardware entwickeln. Das Unternehmen arbeitet zu diesem Zweck mit Hardwarelieferanten und Universitäten zusammen, unter anderem führenden Einrichtungen in Frankreich und der RWTH in Aachen. Das Ziel von Atos: als erster Hersteller in Europa einen Quantencomputer bereitzustellen.
Neue Programmiersprachen erforderlich
Quantencomputer funktionieren anders als herkömmliche Rechner. Das hat auch Folgen für die Art der Programmierung und die entsprechenden Programmiersprachen. Microsoft hat im September 2017 mit Q# eine spezielle Sprache vorgestellt, mit der Entwickler Applikationen für Quantenrechner schreiben und testen können.
Die Sprache basiert auf Visual Studio. Daher müssen sich Fachleute nicht in eine komplett neue Entwicklungsumgebung einarbeiten. Die Programmbibliotheken von Q# und des Quantum Development Kit (QDK) laufen auf herkömmlichen Rechnern unter Windows, Linux und MacOS. Mit dem Kit lassen sich Programme schreiben, die für Quanten-Simulatoren mit 30 oder 40 Qubit ausgelegt sind.
IBM wiederum hat mit Qiskit (Quantum Information Software Kit) ein vergleichbares Software Development Kit für Quantenrechner der Reihe Q Experience entwickelt. Es steht für Entwickler kostenlos auf der Plattform GitHub zum Download bereit.
Fazit: Quantenrechner sind kein Allheilmittel
Zweifellos werden Quantencomputer eine wichtige Rolle spielen. Das gilt vor allem für Anwendungsbereiche, in denen Simulationen und komplexe mathematischen Berechnungen an der Tagesordnung sind.
Doch klassische Rechner auf Basis der Von-Neumann-Architektur haben noch lange nicht ausgedient. Solche Generalisten sind für einen Großteil der Einsatzfelder vollkommen ausreichend. Denn wer vorzugsweise Excel, E-Mail und Fachanwendungen verwendet, benötigt dazu keinen Quantenrechner.
Dennoch ist es wichtig, dass Quantensysteme möglichst schnell einem breiten Nutzerkreis zugänglich gemacht werden. Denn je früher sich Forscher und Entwickler mit dieser Technologie auseinandersetzen können, desto schneller werden entsprechende Anwendungen und Forschungsergebnisse zur Verfügung stehen. Ansätze wie Quantum Computing as a Service, also der Zugang zu solchen Systemen via Cloud, können dazu beitragen.
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