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Gaia-X: Wie realistisch ist die digitale Souveränität?

Die Bundesregierung will zusammen mit europäischen Partnern eine eigene Cloud aufbauen. Das Ziel ist die Unabhängigkeit von großen US-Cloud-Anbietern.

Eine freie globale Wirtschaft ist wichtig für Deutschland, postulieren deutsche Politiker, sobald irgendwo auf der Welt protektionistische Maßnahmen ergriffen werden. Ob im Handelsstreit mit China, den USA oder anderen Ländern – immer sieht sich die Bundesregierung als Opfer von Angriffen auf die Globalisierung.

Das ist nicht grundlos, denn egal ob Maschinen, chemische Erzeugnisse oder Automobile: die größten deutschen Branchen leben von einem offenen Weltmarkt, der nicht nur aus Absatzmärkten besteht, sondern sich auch in einem globalen Zuliefermarkt widerspiegelt.

Ein besonders attraktiver Weltmarkt ist Cloud Computing. Das liegt vor allem daran, dass Daten in großen Mengen und mit hoher Geschwindigkeit verlustfrei um die Erde transportiert werden können. Beherrscht wird dieser Markt allerdings von drei US-Anbietern: Amazon mit Amazon Web Services (AWS), Microsoft mit Azure und Google mit GCP.

Nationaler Protektionismus

Das ist der deutschen Regierung ein Dorn im Auge. Daher strebt sie nun das Gegenteil von dem an, was sie sonst kritisiert: Einen nationalen – oder europäischen – Alleingang.

Schon im Juli hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine deutsch-französische Initiative angekündigt: „Die europäische Wirtschaft benötigt dringend verlässliche Datensouveränität“, sagte er damals. Hierbei verwies Altmaier unter anderem darauf, dass wichtige Daten deutscher Unternehmen bei US-Providern gespeichert sind, wo sie US-Recht unterliegen und US-Behörden aufgrund des CLOUD Act jederzeit Zugriff darauf erhalten können.

„Durch Deutschland muss ein digitaler Ruck gehen“, fordert daher Hinrich Thölken, Sonderbeauftragte für Digitalisierungspolitik beim Auswärtigen Amt, mit Blick auf diese Situation.

Gaia-X soll 2020 starten

Inzwischen gibt es ein offizielles Projekt: Gaia-X soll die neue Cloud heißen. Das Projekt wurde auf dem Digital-Gipfel 2019 in Dortmund angekündigt und soll in der ersten Jahreshälfte 2020 starten – erste Anwendungen soll es im dritten oder vierten Quartal 2020 geben.

Aus der deutschen Industrie sind Bosch, SAP, Siemens, die Deutsche Telekom, das Start-up German Edge Cloud (Friedhelm Loh Group), die Festo AG & Co. KG und die DE-CIX Group AG an Gaia-X beteiligt. Daneben wirken das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie der gemeinnützige Verein Deutsche Akademie der Technikwissenschaften an dem Projekt mit.

Entsprechend der Projektbeschreibung (PDF) können weitere Unternehmen dazu stoßen. Diese können auch aus anderen europäischen Ländern stammen. Rechtliche und Kontrollaspekte stehen genauso im Zentrum des Konzepts, wie die Sicherheit, Kontrolle, Zertifizierung und Authentifizierung der Cloud.

Altmaier selbst scheint mit den Strukturen von Cloud Computing und Cloud-Plattformen allerdings nicht vertraut zu sein. So sagte er: „Früher hat das Reisebüro die Provision für eine Buchung bekommen. Heute geht ein Teil der Provision an die Plattformbetreiber, die häufig nicht in Deutschland oder Europa säßen. Diese Wertschöpfung muss wieder im Lande bleiben.“

Airbnb, Expedia und Hotels.com haben allerdings wenig mit AWS, Microsoft Azure und Google Cloud Platform gemeinsam – und diese Cloud-Provider kassieren auch keine Buchungsprovisionen. Hier verwechselt Altmaier die Akteure der Plattform-Ökonomie mit den Anbietern von Cloud-Plattformen.

Technische Umsetzung vage

Wie Gaia-X technisch realisiert werden soll, ist noch vage. In der Projektbeschreibung heißt es: „Das ‚Projekt GAIA-X‘ sieht die Vernetzung dezentraler Infrastrukturdienste, insbesondere Cloud- und Edge-Instanzen, zu einem homogenen, nutzerfreundlichen System vor. Die daraus entstehende vernetzte Form der Dateninfrastruktur stärkt sowohl die digitale Souveränität der Nachfrager von Cloud-Dienstleistungen als auch die Skalierungsfähigkeit und Wettbewerbsposition europäischer Cloud-Anbieter.“

„Eine eingezäunte Staats-Cloud wird keine Innovationen bringen und nur wenige Nutzer finden.“
Sabine Bendiek Microsoft Deutschland

Das bedeutet, dass ein dezentrales Netzwerk geschaffen werden soll, bei dem je nach Bedarf Rechnerkapazitäten unterschiedlicher Anbieter zusammengeschaltet werden sollen. Die zugehörigen Betriebssysteme, Netzwerke und Middleware sollen vor allem Open Source sein. Zum Hardwareeinsatz steht nichts in der Beschreibung. Diese wird vermutlich zum größten Teil von US-Anbietern stammen.

Amazon und Microsoft skeptisch

Auf die Nachteile einer nationalen Cloud weisen die großen US-Provider hin. „Theoretisch ist die Idee einer nationalen Cloud interessant. In der Praxis ist es jedoch so, dass die wesentlichen Vorteile von Cloud Computing, wie Wahlfreiheit, Flexibilität, und die Möglichkeit auf globaler Ebene zu skalieren, nicht zum Tragen kommen“, heißt es in einem Statement von AWS.

Auch von Microsoft gibt es eine Stellungnahme: „Eine eingezäunte Staats-Cloud wird keine Innovationen bringen und nur wenige Nutzer finden“, sagt Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland. Sie verweist dabei auf die Erfahrungen der Microsoft Cloud Deutschland, ein Ende 2015 vorgestelltes Kooperationsprojekt mit der Telekom, das 2018 eingestellt wurde: „Alle fanden den Ansatz spannend, aber viele Kunden sind global tätig und nationale Grenzen sind daher nicht entscheidend.“

Industrie schon im Ausland

Das zeigt sich auch an der Cloud-Nutzung der deutschen Industrie. So setzt zum Beispiel BMW für seine neuen Connected-Car-Anwendungen auf AWS. Bei Volkswagen ist die Situation ähnlich. Hier ist man im Bereich Connected Car eine strategische Partnerschaft mit Microsoft eingegangen und baut ein gemeinsames Entwicklungsteam in Seattle auf. Im März meldete der Konzern außerdem, dass man eine Kooperation mit AWS beschlossen hat, bei der es um den Aufbau einer Industrial Cloud geht.

Dass der Cloud-Zug abgefahren ist, zeigt sich ebenfalls daran, dass selbst große IT-Konzerne keine eigenen Plattformen mehr forcieren. Dell Technologies hat zum Beispiel für das Datenmanagement von autonomen Autos eine Automotive Cloud eingerichtet. Sie dient vor allem zum Erfassen und Auswerten der Primärdaten, stützt sich aber im Backbone auf Google, AWS und Azure.

Ähnlich ist die Situation bei Oracle, die auf der jüngsten Kundenveranstaltung eine Kooperation mit Microsoft vorgestellt und die Nutzung von Azure ankündigt haben.

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