Datenschutz und Verbraucherdaten: zwei Beispiele für den Datenmissbrauch
Firmen fragen häufig, wie wertvoll ihre Daten sind. Verbraucher ahnen nicht, dass ihre Daten auch gegen ihre Interessen verwendet werden. Zwei Beispiele.
Wer weiß denn, warum Unternehmen diese Fragen stellen, wie wertvoll die Daten sind oder an wen sie weitergegeben werden? Welcher Verbraucher ahnt, wie seine Daten auch gegen seine Interessen verwendet werden können? Dazu zwei durchaus realistische Beispiele: Frau Zahn möchte bei einem Versandhändler eine Uhr kaufen, doch diese „ist leider nicht lieferbar“. Der Händler verschweigt Frau Zahn, dass sie die Uhr bekommen könnte, wenn sie woanders wohnen würde. Er stuft die Bonität von Kunden mit Hilfe von Geoscoring ein. Im Prinzip hängt die Einstufung davon ab, in welcher Straße man wohnt. Das Wohnumfeld von Frau Zahn ist scheinbar nicht wohlhabend genug, um ihr die Uhr zu liefern.
Der Einzelhandel möchte das Kaufverhalten seiner Kunden möglichst genau kennen, um Produktpalette und Werbung zu optimieren. Dafür gibt es elektronische Rabattkarten. Sagen wir, Herr Ohl nutzt seine Karte auch, um Getränke für Feiern in seinem Betrieb zu kaufen. Eines Tages will er eine Lebensversicherung abschließen. Die Versicherung lehnt ab. Warum? Was Herr Ohl nicht ahnt: Die Versicherung hat Zugang zu seinen Kaufdaten und stuft ihn, ob der gekauften Alkoholmenge, als Alkoholiker ein, dem man natürlich keine Lebensversicherung anbietet. Diese Fehleinstufung ist für Herrn Ohl katastrophal – besonders, wenn andere Versicherungen die gleichen Daten nutzen.
Natürlich dürfen – vielmehr müssen – Geschäftsentscheidungen aufgrund unvollständiger Daten und anhand statistischer Zusammenhänge getroffen werden. Doch müssten Kunden fair und transparent behandelt werden, zum Beispiel, indem sie erfahren, auf welcher Datenbasis eine sie betreffende Entscheidung gefällt wurde. Ohne Nachteile müssten sie einer Speicherung oder Nutzung ihrer Daten widersprechen sowie Änderung oder Löschung unrichtiger oder veralteter Daten verlangen können. Eine aktuelle und korrekte Datenbasis nützt auch den Unternehmen.
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Ohne entsprechende Regeln gerät die Business-Intelligence (BI) -Branche in Verruf. Schon jetzt verliert sie das Vertrauen der Verbraucher. Laut einer Allensbach-Umfrage von 2007 verzichten bereits 31 Prozent explizit deshalb auf Einkäufe im Web, weil sie um den Schutz ihrer persönlichen Daten fürchten. Deshalb müssen Kunden erfahren, wer was über sie speichert und wie diese Informationen genutzt werden. Es muss zur Pflicht werden, die unberechtigte Weitergabe persönlicher Daten wirksam zu verhindern. Warum können Mitarbeiter von Callcentern schwunghaft mit Adressendaten handeln, sogar mit Kontonummern?
Doch nur, weil weder Callcenter noch Auftraggeber einen ökonomischen Grund haben, die Datenweitergabe zu unterbinden. Nicht sie haben den Schaden, sondern jene Menschen, deren persönliche Daten missbraucht werden. Effektive Kontrollen und Sanktionen sind überfällig! Auch aufgrund der offenbar hohen Bereitschaft ansonsten ehrbarer Kaufleute, diese Geschäftschance auszunutzen. Denn ohne entsprechende Nachfrage gäbe es keinen Datenklau. Persönliche Daten sind kostbar. Die Wirtschaft weiß längst: „Data Mining is Gold Mining!“ – Verbraucher und Gesetzgeber lernen das erst allmählich.
Das Bundesverfassungsgericht beschrieb 1983 in seinem Urteil zur Volkszählung das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Deutschland war damals weltweit ein Vorreiter des Datenschutzes. Seitdem haben sich Informationstechnik und Wirtschaft sehr weiterentwickelt, der Schutz persönlicher Daten in Deutschland dagegen kaum. Und der Rest der Welt holt auf – beim Datenschutz.
Den Verbrauchern von heute droht keine Vertreibung. Doch was ihre Daten angeht, werden die Verbraucher von der Wirtschaft noch genauso ausgebeutet, wie einst die Eingeborenen von ihren Entdeckern. Ist die Kolonialzeit ein Vorbild für das Online-Zeitalter? Wenn nicht, brauchen wir einen zeitgemäß verbesserten Datenschutz. Aus aktuellem Anlass ist die Politik auf dem Datenschutzgipfel im September 2008 einige zögerliche Schritte in diese Richtung gegangen.
Weitere Schritte müssen folgen, damit die BI-Wirtschaft das Vertrauen der Verbraucher zurückgewinnen kann. Verbesserter Datenschutz stärkt Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit. Bekanntlich saugen Google und Co. die Daten ihrer Nutzer auf wie Schwämme. In dem Maße, in dem die Verbraucher verstehen, wie man ihre Daten tatsächlich nutzt, wird ein effektiver und von unabhängigen Instanzen kontrollierter Datenschutz zu einem Wettbewerbsvorteil in der ganzen BI-Branche.
Über den Autor:
Stefan Lucks beschäftigt sich seit langem mit Kryptografie, Informations- und Kommunikationssicherheit. Unter anderem war er verantwortlich für die Untersuchung von Sicherheitsfragen in der interdisziplinären Mobile Business Research Group der Universität Mannheim. Seit 2007 ist Lucks Professor für Mediensicherheit an der Bauhaus-Universität Weimar.
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