Business-Anwendungen öffnen sich für IoT und Blockchain
ERP-Systeme der nächsten Generation überlappen sich mit IoT, Blockchain und Smart Contracts. Das löst eine Automatisierungswelle für mehr Betriebseffizienz aus.
Globale Unternehmen wechseln ihre Systeme für Enterprise Resource Planning (ERP) nur äußerst selten aus, denn das damit verbundene Re-Engineering der Geschäftsprozesse sowie die technischen Herausforderungen sind groß. Das bedeutet, dass üblicherweise ERP-Systeme anzutreffen sind, mit denen die Unternehmen bereits seit zehn oder 15 Jahren arbeiten.
Doch die technologische Entwicklung steht nicht still. Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) bietet Unternehmen eine zeitnahe Datenerfassung der physischen und Umgebungsbedingungen, selbst in abgelegenen Anlagen und Einrichtungen. IoT bietet Informationen über den Zustand von Dingen, die Unternehmen kaufen, herstellen, verwalten oder verkaufen.
Inzwischen werben Anbieter von Smart Contracts gleichzeitig damit, dass sie eine Automatisierung von Geschäftsvorgängen zur Verfügung stellen können, mit der sich die Abläufe nicht nur beschleunigen lassen, sondern gleichzeitig auch die Kosten und Risiken sinken.
Um diese Technologien voll auszuschöpfen, müssen die neuen Daten über alle Unternehmensanwendungen hinweg gemeinsam genutzt werden können. Doch möglicherweise ist dieser Satz an Anwendungen inzwischen veraltet. Die entscheidende Frage lautet also, ob die vorhandene Software diesen neuen, zusätzlichen Aufgaben gewachsen ist.
Umgang mit IoT-Daten
„ERP-Systeme sind auf eine Lebensdauer von zehn bis 20 Jahren ausgelegt. Das bedeutet, dass ältere Systeme nicht für das Datenvolumen ausgelegt sind, welches heute durch die IoT-Anwendungen entsteht. Die meisten der heutigen Systeme sind für so viele Daten nicht bereit“, sagt Stephen Tatton, Director of Business Systems und New Technology bei JBT AeroTech.
Der Hersteller von Flughafenausrüstungen, darunter Klimaanlagen, mobile Gangways und Enteisungsanlagen, installiert seine Produkte in vielen entlegenen Regionen. Hierzu nutzt JBT AeroTech schon seit über 20 Jahren eine Fernüberwachung, die bis zu klassischen Modems zurückreicht.
„In den letzten Jahren hat IoT eine Datenexplosion ausgelöst. Doch dieses sogenannte Big Data setzt inzwischen bereits Grenzen, wie oft und in welchem Umfang etwas überwacht werden kann“, sagt Tatton.
Das Unternehmen hat eine eigene IoT-Infrastruktur aufgebaut, um damit sowohl die eigenen Geräte, als auch die Systeme von Drittanbietern, die von den Kunden verwendet werden, zu überwachen. „Die Verfügbarkeit dieser Daten bewirkt ein neues Denken darüber, wie wir die Wartung ausführen können. Das schafft zusätzliche Vorteile für unsere Kunden, denn wir können die Wartung heute in einer Weise handhaben, wie wir es vorher nicht konnten. Die Daten kommen jetzt elektronisch und nicht mehr manuell in unsere ERP- und Enterprise-Asset-Management-Systeme. Und das beschleunigt die Prozesse erheblich“, erläutert er.
Zum Beispiel haben die Ingenieure von JBT AeroTech früher die Leistung von Klimaanlagen in einem Flughafen so überprüft, dass sie bei jedem einzelnen Gerät die Temperatur gemessen haben. „Auf einem großen Flughafen würde das heute Stunden oder gar Tage dauern. Jetzt besuchen sie nur noch die Einheiten, die nicht richtig funktionieren oder gewartet werden müssen. Das bedeutet, dass die Ingenieure weniger Reisen müssen und immer die richtigen Werkzeuge und Ersatzteile dabeihaben, was die Gesamteffizienz erheblich verbessert“, sagt Tatton weiter.
Die IoT-Plattform wurde von JBT AeroTech in der Cloud entwickelt, um die Daten so zu managen, dass sie direkt in die Unternehmensanwendungen einfließen können. „Jedes Mal, wenn sich die Daten ändern, werden sie erfasst. Steigt ein Messwert um ein Grad an, so geht das direkt in die Datenbank", erklärt Tatton die Funktionsweise.
„Doch im Geräteverwaltungssystem kümmern wir uns nicht mehr um jeden einzelnen Wert, sondern nur noch um die Schwellenwerte. Erst wenn beispielsweise eine Klimaanlage drei Minuten lang ununterbrochen außerhalb ihrer Solltemperatur arbeitet, wird das Ereignis in diesem System berücksichtigt", fügt er noch hinzu.
JBT Aerospace nutzt das Enterprise-Asset-Management-System von Infor sowie Oracle-Software und JD Edwards für ERP- und andere Unternehmensanwendungen. Die IoT-Plattform generiert ein HTML-Frontend, nutzt die SQL-Datenbank von Microsoft und speichert Daten in Hadoop und der Cassandra NoSQL-Datenbank. Das Unternehmen hat eigene Analysewerkzeuge entwickelt, um die Bedeutung der Daten automatisch zu erkennen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse helfen dann nicht nur bei der Wartung, sondern fließen auch in die zukünftige Produktentwicklung ein.
IoT-Daten-Management erhöht die Komplexität
„Andere Unternehmen, die ebenfalls ihre IoT-Daten nutzen wollen, werden wahrscheinlich einen ähnlichen Weg einschlagen wie JBT Aerospace, indem sie eine Zwischenschicht oder eine separate Plattform schaffen“, sagt Claudio di Nella, Managing Director of Technology Strategy beim Beratungsunternehmen Accenture. Doch dieser Ansatz könnte zu Schwierigkeiten in der Zukunft führen.
„Mittelfristig werden die ERP-Anbieter ihre bestehenden Softwarepakete mit solchen Zwischenebenen ergänzen, doch in vielen Fällen stehen die etablierten Softwareanbieter unter Druck, denn die Unternehmen kämpfen mit den Kosten für den Betrieb der häufig veralteten Unternehmensanwendungen“, sagt er.
„Mit dem Wechsel zu einer echten Digitalisierung, bei der die neuen Sensortechnologien unternehmensweit eingesetzt werden, steigt auch die Komplexität weiter an. Gleichzeitig muss IT den Unternehmensalltag sicherstellen, denn die IT-Betriebssicherheit und die zunehmenden Regularien sind einzuhalten“, erläutert der Berater. „All das erfordert weitere Investitionen und zunehmende Anstrengungen. Die meisten Unternehmen sind aber schlecht darauf vorbereitet, zusätzliche Technologien einzubinden. Solche Maßnahmen stellen eine enorme Belastung für die Softwareintegration, die Systemarchitektur und die Mitarbeiterqualifikation dar.“
Einige Anbieter von Unternehmenssoftware rüsten sich, um mit neuen Systemen der Flut von IoT-Daten standhalten zu können. Zum Beispiel positioniert SAP seine In-Memory-Datenbank HANA als besonders geeignet für solche Anwendungen (siehe Fallstudie Trenitalia weiter unten).
Laut Mark Darbyshire, Vice President of Integration bei SAP, wird aber letztlich die Bearbeitungsgeschwindigkeit bei den Geschäftsprozessen die Nutzung der IoT-Daten begrenzen: „Das Problem ist heute nicht mehr die Geschwindigkeit der neuen Technologien, sondern die der Menschen im Unternehmen.“
Einstieg in Blockchain
Die Pläne zur Beschleunigung von Geschäftsprozessen könnten für die Verantwortlichen, die für die Zukunft der Unternehmensanwendungen zuständig sind, noch zu einem Wespennest werden.
„Das Bestreben, Geschäftsprozesse mit Smart Contracts zu automatisieren, geht bereits auf die ersten Jahre dieses Jahrhunderts zurück, doch erst mit dem Aufkommen von Blockchain gibt es hier neue Impulse“, sagt Ron Hirson, Chief Product Officer von DocuSign, einem Anbieter von Software für elektronische Signaturen und Transaktions-Management.
Blockchain ist eine manipulationssichere, verteilte Datenbanktechnologie, die auch die Basis für die Kryptowährung Bitcoin bildet. „Blockchain ist eine Chance. Damit lässt sich ein verteilter General Ledger generieren, der das Vertrauen erhöht. Blockchain stellt ein Protokoll zur Verfügung, mit dem unabhängige Entitäten miteinander kommunizieren können. Blockchain könnte ein wichtiges Element bei der Funktionsweise von Smart Contracts sein“, sagt Hirson weiter.
Solche Smart Contracts erlauben die Automatisierung von Geschäftsentscheidungen nach vorbestimmten Regeln, und zwar sowohl zwischen verschiedenen Unternehmen, als auch innerhalb eines Unternehmens. In Kombination mit IoT könnten sie dazu beitragen, die Lieferungen und Bezahlvorgänge von Waren und Dienstleistungen zu koordinieren, sofern diese alle in einer Blockchain erfasst sind.
Blockchain benötigt verbindliche Standards
Die Kombination von Smart Contracts mit Blockchain kann für Geschäftsanwendungen von großer Bedeutung sein, doch dazu müssen zunächst die unterschiedlichen Standards und organisatorische Probleme überwunden werden.
„Smart Contracts kann man sich wie einen Container vorstellen, in dem sowohl die Daten als auch der Programmcode gespeichert wird“, sagt Peter Bidewell, Chief Marketing Officer von Applied Blockchain, einem Unternehmen, das unter anderen Siemens zu seinen Kunden zählt. „Auf diese Weise dient der im Container abgelegte Code dazu, die Daten von anderen Smart Contracts zu verarbeiten – sozusagen eine Art selbstausführendes Programm. Zum Beispiel kann ein Smart Contract den Zahlungsvorgang an einen Lieferanten auslösen, sobald die Ware beim Käufer durch eine Art Geofence hindurchgegangen ist.“
Applied Blockchain hat ein agnostisches Anwendungs- und Datenschutz-Framework entwickelt, das auf jeder zugrunde liegenden Blockchain aufgesetzt werden kann. Damit wird das Problem umgangen, lediglich auf eine der konkurrierenden Plattformen, zum Beispiel Ethereum, Hyperledger, IPFS und BigchainDB, setzen zu müssen.
„Wir haben gesehen, dass es gefährlich ist, Wetten darauf zu platzieren, welche Blockchain sich durchsetzen wird. Erforderlich ist eine Art TCP/IP für Blockchains, doch so weit sind wir noch nicht“, sagt Bidewell.
Guy Halford-Thompson, CEO und Mitbegründer vom Blockchain-Spezialisten BTL Group ist überzeugt, dass die Technologie das Potenzial hat, die Unternehmens-IT erheblich zu vereinfachen, da für viele Standard-Probleme, wie Zugangskontrolle oder Datenursprung die jeweiligen Lösungen von Anfang an integriert sind.
„Wenn Sie Daten mit einem Partner austauschen wollen, der von Haus aus integriert ist, benötigen Sie keinen Firewall und keine andere, zusätzliche Datensicherheit mehr“, sagt Halford-Thompson. Allerdings räumt er ein, dass es zu viel verlangt wäre, von einem Unternehmen zu erwarten, dass es seine Prozesse auf völlig neuen Technologien umstellt und damit Anwendungen ersetzt, denen man seit Jahren vertraut.
„Wir wollen keine Disruption bei unseren Kunden. Unser Ansatz ist es, dass wir zunächst das kleinste Projekt auswählen, welches einen erkennbaren Mehrwert aufweisen kann. Das hat dann nur einen geringen Einfluss auf den bisherigen Geschäftsbetrieb. Allerdings sind solche Projekte nicht unbedingt die, mit denen man langfristig den größten finanziellen Nutzen erzielt. Sobald wir Kosteneinsparungen nachweisen, gehen wir nach Möglichkeit auch größere Probleme an“, erklärt Halford-Thompson seine Vorgehensweise.
Doch das führt zu der Frage, inwieweit bestehende Unternehmensanwendungen mit diesen neuen Technologien zurechtkommen, wenn sie die vorhandenen Systeme vom IT-Management nur ungern ersetzt werden.
„Blockchain-Anwendungen sind leistungsstark, und deren besonderer Vorteil ist die Informationsintegrität“, sagt Berater di Nella. „Die meisten Unternehmen sind derzeit noch in einem sehr frühen Stadium und testen vorsichtig die Möglichkeiten von Smart Contracts. Wir sind noch ein paar Jahre davon entfernt, diese Technologie in einer echten Produktionsumgebung zu sehen, aber es wird passieren.“
Seine Prognose: „Wenn man Blockchain und Smart Contracts mit IoT kombiniert, wird eine neue Welle an betrieblichen Effizienz entstehen, die viele manuelle Prozesse eliminiert.“
Doch um dieses zu erreichen, müssen die Unternehmen einen neuen Ansatz für die Einbindung von Blockchain- und In-Memory-Computing in die Unternehmensanwendungen entwickeln. Beides sind offensichtliche Herausforderungen beim derzeitigen technologischen und geschäftlichen Wandel. „Früher oder später werden sich die Unternehmen fragen müssen, ob sie die neuen Herausforderungen annehmen wollen, oder ob sie es sich leisten können, zurückzufallen“, warnt der Berater IT-Chefs.
Fallbeispiel: Trenitalias IoT-System mit loser Anbindung an SAPs ERP-System
Seit 2014 stattet die italienische Staatsbahn Trenitalia ihre Bremssysteme, Toiletten, Batterien, Schiebetüren und vieles mehr mit Hunderten Sensoren aus, um darüber eine Vielzahl an Daten in Echtzeit zu erfassen.
Das Unternehmen verwendet hierfür auch die In-Memory-Technologie SAP HANA. Alle zehn Minuten werden die Echtzeit-Daten des IoT-Systems an das ERP-System übermittelt. Mit weitergehenden Datenanalysen kann Trenitalia Prognosemodelle für Machine Learning erstellen sowie Wartungsarbeiten und andere Aktivitäten auslösen.
Trenitalias CIO Danilo Gismondi sagt, dass das System „vollständig in die Applikationslandschaft der Bahngesellschaft integriert ist“. Importiert werden die Daten der Züge und Services sowie die Daten über die Verfügbarkeit von Ersatzteilen und anderen Instandhaltungs-Ressourcen. Außerdem exportiert es die Instandhaltungsinformationen und Terminierungsanweisungen an die für die Ausführung zuständigen ERP- und Bahnbetriebssysteme.
„Das System wurde von Anfang an so konzipiert, dass die Auswirkungen auf alle angeschlossenen Systeme so gering wie möglich sind, aber das kann sich in Zukunft noch ändern“, sagt Gismondi. „Wir haben zwar eine Reihe an Schnittstellen geschaffen, doch an den bestehenden Systemen selbst haben wir kaum etwas verändert. Wir gehen jedoch davon aus, dass nach und nach immer mehr Funktionalitäten von den Unternehmensanwendungen auf das neue ‚Dynamic Management Maintenance System‘ übertragen werden, da dieses System aufgrund seiner höheren Intelligenz effektiver arbeitet. Das bedeutet, dass die bestehenden Systeme langsam auslaufen.“
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